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Aktualisiert: vor 1 Stunde 37 Minuten

Existieren verboten

So, 04/10/2022 - 18:05

Die sogenannten LGBT-freien Zonen sind mittlerweile in Polen zur Wirklichkeit geworden. Tausende von queeren Menschen­ wohnen in Städten und Gemeinden, wo ihre bloße Existenz sie in Gefahr bringt. Dem zugrunde liegt ein ideologischer Machtkampf um »erwünschtes« Leben, den Politik und Kirche zu gewinnen scheinen, argumentiert Magdo in diesem Debattenbeitrag.

In Polen sind faschistische Politiker in weißen Hemden schon ganz oben. Die Mitglieder rechtspopulistischer Parteien wie Recht und Gerechtigkeit (PiS – Prawo i Sprawiedliwość) und Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja Wolność i Niepodległość) machen keinen Hehl daraus, dass ihre Ansichten von Nazi-Denkern geprägt wurden. Und die populistische Regierung kokettiert nicht nur mit ihnen – es sind bereits Menschen an der Macht, die rechtsextreme Ideologie in den politischen Mainstream einführen und damit unter anderem Queermisia (1) und Transmisia (2) in der Gesellschaft aktiv vorantreiben.

Rechtsextreme Aktivist*innen wie Kaja Godek stellen sich vor Kirchen und sammeln Unterschriften, Projekte wie «Stopp LGBT» und «Ja zu Familie; Nein zu Gender» gewinnen an Zuspruch. Ihre Rhetorik basiert auf der Prämisse, dass «Genderideologie», Bi- und Homosexualität sowie Transidentitäten, Atheismus und Sexualerziehung nicht natürlich seien, weil sie «traditionellen polnischen Idealen» widersprechen.

Die «LGBT-Ideologie», wie sie es nennen, wird dabei als die Quelle allen Übels heraufbeschworen: «Haltet das von unseren Kindern fern. Kein Gender in den Schulen.» (Als nicht-binäre Person stimme ich letzterem allerdings zu. Lasst uns aufhören, Kinder nach Geschlecht zu kategorisieren.) Alles, was queer ist, stammt zwangsläufig aus dem Westen, zielt auf die Zerstörung der traditionellen Familien ab und leugnet die göttliche Ordnung der Dinge. Interessanterweise scheinen jene patriotischen Fanatiker*innen zu vergessen, dass auch der Katholizismus einst aus dem Westen kam und heidnische slawische Glaubensvorstellungen überschrieb. Kulturen, die nicht-heteronormative, inhärent queere Gottheiten feierten, die später zu christlichen Heiligen umgestaltet wurden.

Dieses eine Wort, das die Far-Right-Anhänger*innen zu triggern scheint – Ideologie – wird dabei de facto gleichgesetzt mit queeren Personen. Als ob Identität eine Wahl oder Sekte wäre, der man beliebig bei- und austreten könnte. Geschickt nutzt der Begriff der «LGBT-ideologiefreien Zonen» auch die aktuelle Gesetzeslage aus: Ende Juni 2019 entschied das Verfassungsgericht, dass Glaubens- und Gewissensprinzipien als Grund für die Verweigerung eines Dienstes ausreichen. Die Konservativen haben das Urteil laut gefeiert. Die Zeitung Gazeta Polska hat sogar Sticker mit durchgestrichener Regenbogenfahne verbreitet. Manche Unternehmer*innen haben sie in ihren Einrichtungen aufgeklebt. Die Ähnlichkeit mit «Nur für Deutsche» ist unheimlich.

Queersein in Polen

Was bedeutet all dies für queere Personen in Polen? Ich selbst musste Polen verlassen, um meine eigene Identität zu entdecken und vor allem zu akzeptieren. Meine polnischen Freund*innen in Berlin sind Personen, die sich in Polen nicht sicher fühlen. Die, die noch in Polen wohnen, versuchen, ein besseres Leben in den Großstädten zu finden. Im Kollektiv versuchen wir, mit Aktivist*innen vor Ort in Kontakt zu bleiben und konnten so z.B. Morning-After-Pillen aus Deutschland nach Polen bringen.

Wir alle haben queere Freund*innen und Familienmitglieder, die jeden Tag Angst haben, auf die Straße zu gehen. Sich zu outen ist für viele lebensbedrohlich. Sichtbar queere Menschen werden angestarrt und angegriffen, Bildungsarbeit und Aufklärung sind kaum vorhanden.Wir können in...

Von Bildsprache, Diskursintervention und antifaschistischen Klimakämpfen

Mo, 03/07/2022 - 18:55

Bereits im Sommer 2021 hat Ende Gelände mit zwei parallelen Aktionswochenenden in Hamburg und Brunsbüttel erstmals die Energiequelle Gas als Klimakiller in den Fokus gerückt. Zudem sollten koloniale Dimensionen sichtbarer als je zuvor gemacht werden. Dieser Bericht blickt unter anderem zurück auf geglückte Störungen, ausbaufähige Realpolitik und die Rolle der Bildsprache.

1. Rückblick

Im letzten Sommer haben wir mit Ende Gelände viel Neues gewagt: Das geplante LNG-Terminal (LNG = Flüssigerdgas) in Brunsbüttel als neues Hauptaktionsziel in einer uns unbekannten Region, Gas als neuer thematischer Fokus und eine noch stärkere internationale Einbettung der Aktion. Dazu kam der Anspruch, antikoloniale und antirassistische Kämpfe sichtbarer zu machen und der Versuch, noch stärker Barrieren im Klimagerechtigkeitsaktivismus abzubauen. In Brunsbüttel kamen dafür ca. 2.000 und in Hamburg einige Hundert Aktivist*innen zusammen.

Nachdem am Freitag eine Soli-Aktion auf dem Camp in Solidarität mit den Kämpfen weltweit und mit der uns besuchenden Delegation stattfand, verließen die Finger am Samstagmorgen kraftvoll das Camp, überquerten teilweise mit Fähren den Nord-Ostsee-Kanal und besetzten erste Schienen. Am Nachmittag wurde von einer Kleingruppe der Nord-Ostsee Kanal für Stunden blockiert, während manche Finger noch versuchten, ihre Aktionsziele zu erreichen, oder weiterhin Schienen bis in die Morgenstunden des Sonntags besetzt hielten. In Hamburg gab es Raum für BIPoC Vernetzung und eine kraftvolle Sponti, nachdem die ZU Aktion leider nicht wie geplant stattfinden konnte. Letzteres hat, in unserer Wahrnehmung, bei vielen Menschen Fragezeichen und Diskussionsbedarf hinterlassen. Zu den Ursachen sowie Schlussfolgerungen wurde und wird innerhalb der Bewegung noch viel diskutiert. Wir können zu diesem Zeitpunkt keine »Auswertung« dazu machen – wir werden aber auf jeden Fall weiterhin, einzeln und strukturell als Bewegung, unsere Rassismen reflektieren und abbauen.

2. Auswertung

Im Rahmen unseres Auswertungsprozesses in Hinblick auf die politische Wirksamkeit der Aktion haben sich vor allem drei Schwerpunkt-Themen aufgetan, die wir nachfolgend mit euch teilen wollen. Erstens, das Spannungsfeld zwischen symbolischen Blockaden und Blockaden, die tatsächlich den Ausstoß von CO2 verringern oder zumindest finanziellen Schaden bei fossilen Unternehmen anrichten. Letztere bezeichnen wir nachfolgend als effektive oder wirksame Blockaden. Zweitens, unser Verhältnis zu Staat und Repressionsorganen. Und drittens, die Zielsetzung und der Erfolg der Diskursintervention.

Symbolische vs. effektive Blockade

Von Aktivist*innen wurde in Bezug auf Wirksamkeit und Empowerment in der Aktion Unterschiedliches berichtet. Manche waren den ganzen Tag lang unterwegs, ohne an ein Aktionsziel zu kommen und sind dennoch sehr ermutigt aus den Aktionen gegangen. Andere haben gefühlt den ganzen Tag lang pleniert und waren sich unsicher, wie das konkret zu einer Änderung der herrschenden Zustände beigetragen hat. Wieder andere sind relativ fix an ihr Aktionsziel gekommen, haben aber nicht verstanden, warum dieses Ziel angesteuert wurde und ob wirklich effektiv Betriebsabläufe durch die Blockade gestört werden und der fossile Kapitalismus somit am kontinuierlichen »weiter so« gehindert wird. So überwog am Ende doch der Eindruck, dass die Aktion zumindest nicht so empowernd war wie frühere EG Aktionen, bzw. das Gefühl der Wirkmächtigkeit der eigenen Handlungen nicht so ausgeprägt war.

Bereits im Vorfeld der Aktion war klar, dass die Bildsprache einer Kohlegrube inklusive monströser Bagger deutlich eindrucksvoller ist als...

Die Distanz zwischen Identität und Solidarität

So, 02/20/2022 - 20:06

Berena, Vincent und Peter sprechen über Nähe und Distanz, über Identitätspolitik und migrantisch situiertes Wissen, über gemeinsame Kämpfe um Befreiung und globale Solidarität in Zeiten der Pandemie.

Dieses Gespräch steht im Kontext der Pandemie. Gleich zu ihrem Beginn hat Rassismus auf viele Weisen sein Gesicht gezeigt: der rassistische Anschlag in Hanau, wenig später der Mord an George Floyd durch Polizisten in Minnesota. Feldarbeiter:innen wurden eingeflogen, während Moria in Flammen stand und Menschen dort schutzlos der Pandemie und allen anderen widrigen Bedingungen des Grenzregimes ausgeliefert waren. Während die Regierungen hierzulande versuchten, das Virus durch Grenzen und Bullen zu kontrollieren, liegt es auf der Hand, dass es ohne eine Patentfreigabe und ohne die Möglichkeit zur Impfung überall nicht gelingen wird, mit der Pandemie umzugehen.

Vincent: Einen Tag nach dem Anschlag in Hanau haben sich Angehörige, solidarische Zivilgesellschaft und Aktivist*innen in Hanau versammelt. Ich bin mit zwei Bandkollegen am 20. Februar zu der ersten Kundgebung gefahren und war überrascht, wie viele Menschen ich vor Ort kannte. Wir lagen uns in den Armen, trösteten uns, standen einander bei - ich wurde von meinen Freund*innen gut aufgefangen. Aber was ich gesehen habe, war eine seltsame Mischung: Auf dem Podium sprach ein Politiker von einer wehrhaften Mitte der Gesellschaft und neben nationalistischen türkischen Symbolen wurden MLPD-Fahnen, wie immer schön dezentral, geschwenkt. Irgendwo wurde noch ein mutloser linker Spruch gejohlt. Sowas wie »Kapital, Staat, Scheiße!«“ oder »Hass, Hass, Hass wie noch nie!«.

Berena: In der iL haben viele BiPoC beschrieben, dass sie sich links und rechts umgeschaut haben, aber keinen emotionalen Resonanzraum hatten. Sie haben sich allein gefühlt und sind wütend. Dass deutsche Aktivist*innen ihre Gefühle oft außerhalb des Plenumraums lassen, was sich dann auch in der Politik äußert, die sie machen, mag dazu beigetragen haben. Aber ich glaube, dass der gesellschaftliche Rassismus nach wie vor tief sitzt, auch bei Linken. Bei mir entsteht oft das Gefühl, dass es am 19.2. einen Anschlag auf "die Anderen" gab. Kanax und Shishasbars sind oft immer noch fremd. Für viele Kanax und BiPoC ist das anders. Wir denken: »Es hätte auch mich treffen können, meine Freund*innen, meine Kinder...«. Ich glaube, dass dieser Anschlag auch von Menschen, die keine Rassismuserfahrungen machen, als etwas sehr Nahes erlebt werden kann, aber Rassismen und unterschiedliche Vorstellungen von Solidarität zu dieser Distanz führen. Während ein bestimmtes Spektrum der antirassistischen Landschaft direkt vor Ort war, waren es andere Teile der radikalen und organisierten Linken nicht. Während die einen sehr nah mit Betroffenen Politik machen und Freundschaften entstehen, arbeiten andere an ihnen vorbei und bleiben in ihrer Bubble.

Vincent: Aber ich wurde auch positiv überrascht: Es gab ein enormes mediales Interesse an dem Ereignis, anders als es mit dem NSU der Fall war. Während damals rassistisch von »Dönermorden« geschrieben worden war, hatte ich den Eindruck, dass bei Hanau die Perspektive der Betroffenen häufiger im Zentrum stand. Das ist eine Errungenschaft migrantischer Communities und von Antirassist*innen, die immer wieder für Öffentlichkeit, Erinnerung und Gedenken hinsichtlich rassistischer und rechter Gewalt gekämpft haben. Beispielsweise die Inititative 19. Februar und die...

Ein historisches Unterfangen.

So, 02/13/2022 - 16:37

Im letzten Jahr sind Delegationen der Zapatistas durch Europa gereist und haben hiesige Kämpfe und Kämpfende besucht und kennengelernt. Von den lehrreichen Prozessen im Vorfeld, den wertschätzenden Begegnungen währenddessen und den Einsichten im Nachhinein berichtet die InterSol AG der iL, die mit an der Umsetzung der Reise beteiligt war.

Die Idee

Es scheint eine Ewigkeit her, und doch sind seitdem nicht einmal anderthalb Jahre vergangen. Im Oktober 2020 kündigte die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) an, im darauf folgenden Jahr den europäischen Kontinent bereisen und die hiesigen Kämpfe und Kämpfenden kennenlernen zu wollen. In einem tatsächlich internationalistischen Akt wollten sie Perspektiven für den eigenen Kampf suchen und auftun. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt. Ein halbes Jahrtausend zuvor wurde, der Geschichtsschreibung der Herrschenden zufolge, das uns heute bekannte Mexiko erobert. Das Jahr 1521 markiert Kolonialisierung und Tod, aber auch Widerstand und Überleben. Diesem Ereignis sollte nun antagonistisch ein Zeichen für das Leben entgegen gesetzt werden, indem einige hundert indigene Delegierte aus Chiapas entsandt werden sollten, um ein Europa von links unten kennen zu lernen. Ihr Vorhaben betitelten die Zapatistas daher auch als »Reise für das Leben«. In dem Aufruf wurden unterstützende Gruppen gesucht, die verbindlich einladen, organisieren und und die Reise begleiten sollten. Die Zapatistas trafen keine Vorauswahl, wer einladen durfte, die Vorgaben über die Inhalte für die Zusammentreffen waren sehr vage, erst recht die Dauer und die technischen Details der Reise. Die EZLN hat sich selbst eingeladen, und die europäische Linke sollte sich dafür eigenständig organisieren. So ein Projekt ist ungewöhnlich und wurde zur Herausforderung, wie sich zeigen wird.

Zunächst sagten immer mehr linke und emanzipatorische Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen überall in Europa zu. Lokale, regionale sowie überregionale Koordinationskreise entstanden daraufhin und arbeiteten über Monate mehr oder wenig regelmäßig für die Vorbereitung des Zwischenstopps in der eigenen Region. Darüber hinaus gab es eine bundesweite Vernetzung, die sich regelmäßig überwiegend online traf. Das Resultat war ein mitunter sehr chaotischer Ablauf in den unterschiedlichen lokalen Vorbereitungskreisen. Dies war die Folge von nicht getroffenen Absprachen, wie Kommunikation und Entscheidungsfindung in der Zeit des Aufenthaltes der Zapatisten stattfinden solle, aber sicherlich auch ein Ergebnis davon, sich eher unfreiwillig in dieser Akteur*innenzusammensetzung gefunden zu haben. In dieser Gemengelage übernahmen unterschiedliche lokale und bundesweite Strukturen Aufgaben und Verantwortung, darunter auch die interventionistische Linke.

Das große Warten

Die Vorbereitung zog sich Mitte 2021 in die Länge. Der mexikanische Staat verweigerte im Zuge einer rassistischen Logik gegenüber seiner eigenen indigenen Bevölkerung die Ausreisedokumente, und Frankreich bediente sich der Pandemie, um eine Einreise zu verhindern. Über Wochen war nicht klar, wann die Reise mit wie vielen Compañer@s beginnen kann.

Ursprünglich war geplant, dass die Zapatistas am 13. August eine europaweite Demonstration in der spanischen Hauptstadt abhalten würden. An diesem Tag jährte sich ein Massaker im heutigen Mexiko-Stadt zum 500ten Mal. Dieser Termin war symbolträchtig und steht für den oben genannten Kolonialismus und den Widerstand dagegen. Statt der kompletten Delegation fand sich die siebenköpfige zapatistische Vorhut in Madrid ein, die Monate zuvor in einem Segelmanöver, das...

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