Debattenblog
Sofia, ein Reisebericht
Der Reisebericht von Renate, die wie Hans am Treffen des Transnational Social Strike teilgenommen hat, beleuchtet eine andere Facette der bulgarischen Wirklichkeit. Sie sieht die Hauptstadt Bulgariens mit den Augen einer Person, deren Politik- und Geschichtsunterricht immer noch einen blinden Fleck aufweist.
VorgeschichteAus der Begleitung der EZLN-Delegation im Oktober 2021 entsteht eine Gruppe von Genoss*innen in Hamburg, die sich alle 4-6 Wochen zum unverbindlichen Austausch treffen. Wir wollen einen anderen, neuen Internationalismus. Wie der aussehen kann, ist uns unklar. Nur eines wissen wir: Die »alte« Solidaritätsarbeit, deren Verdienste nicht zu hoch geschätzt werden können, reicht uns nicht, ist nicht mehr zeitgemäß. Im Frühjahr 2022 entsteht - auch - durch den Ukrainekrieg und die unübersichtlichen Diskussionsstränge innerhalb der iL die Idee, sich mit Osteuropa zu befassen. Zeitgleich landet bei uns eine Einladung zum Treffen von Transnational Social Strike (TSS) in Sofia vom 8.-11. September 2022. Da wir in den vergangenen Monaten immer deutlicher unser Unwissen, unsere blinden Flecken bezüglich Osteuropa, die Entwicklung der postsowjetischen und mit der Sowjetunion verbundenener Staaten und deren Geschichte bemerken, entschließen wir uns, aus Hamburg eine kleine »Delegation« zum Treffen zu schicken.
In dieser Reisereportage beschreibe ich persönliche Eindrücke: was mir auffällt beim Gehen durch die Stadt, die Kuriositäten (oder was ich als solche empfinde). Ich verstehe den Reisebericht als Ergänzung für politische Berichte aus den Workshops und Arbeitsgruppen, von Gesprächen und Vernetzungen mit Genoss*innen. Ich hoffe, dass sich daraus Verbindungen entwickeln, die solidarische, internationalistische Früchte tragen und im Idealfall eine Verbindung der Kämpfe hier und bei ihnen herstellt.
Die ReiseAus der Hamburger Ortsgruppe sind wir zu siebt, Genoss*innen aus Klassenpolitik, KoGre, AntiraAG, InternationalismusAG. Wir kommen nicht gleichzeitig in Sofia an und haben ein Appartement in der Innenstadt angemietet. Bis auf eine Person sind wir alle zum ersten Mal in Bulgarien. Am Flughafen angekommen fällt mir auf, dass es hinter der Passkontrolle einen After Flight Duty Free Shop gibt, der bei unserer Ankunft um 22:45 h noch geöffnet ist. Mein erster Gedanke ist, dass Bulgarien ausgezeichnet gelernt hat, wie Kapitalismus funktioniert..
Am Gepäckband informieren wir uns über Taxipreise. Das Internet sagt uns, dass eine Taxifahrt vom Flughafen in die Innenstadt 20 Lewa kosten soll. Wir fragen den Taxifahrer, der bei uns hält, wie teuer eine Fahrt sei. Als er »25 Euro oder 50 Lewa« sagt, sind wir verunsichert. Wir vermuten schon einen Taxifahrer, der die Umverteilung von oben nach unten individuell regeln will und fragen ihn. Auf unsere Frage reagiert er sehr gelassen und sagt, dass das Benzin wegen des Krieges so teuer geworden sei. Verstanden. Nach circa 20 Minuten Fahrt kommen wir im Appartement an. Dort erwarten uns die Genoss*innen mit Bier, Brot, Käse und Süßem. Das Appartement ist geräumig für uns sieben, die Räume sind verteilt. Wir sitzen noch zusammen und politisieren, was mit einem Bier in der Hand immer noch etwas besser geht als während des Plenums - und es ist lustiger.
Donnerstag, der 8. September 22Am nächsten Morgen erstmal einkaufen. Auf dem Weg zum dm begegnet uns eine Niederlassung der...
Für eine transnationale europäische Linke!
Vom 9. bis 11. September 2022 kamen kapitalismuskritische Initiativen aus ganz Europa zum Transnational-Social-Strike-Treffen in Sofia zusammen. Der Autor Hans berichtet von den Kämpfen der bulgarischen Linken und den Diskussionen über ein transnationales Netzwerk.
Vom 9. bis 11. September 2022 fand wieder ein Transnational-Social-Strike-Treffen (TSS-Treffen) in Sofia statt. Die Zusammenkünfte gibt es seit 2015, wobei das erste Treffen am Rande von Blockupy abgehalten wurden. Auf den Treffen kommen kapitalismuskritische Initiativen aus ganz Europa zusammen von Basisgewerkschaften wie Solidaires aus Frankreich über linksradikale Bündnisse wie die Interventionistische Linke oder Plan C bishin zu Gruppen wie Angry Workers of the World aus Großbritannien. Es nehmen darüber hinaus auch viele Einzelpersonen teil. Das Treffen in Sofia war das erste seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Europa. Die feministische Gruppe LevFem aus Bulgarien organisierte das Treffen und leistete auch währenddessen enorm viel Reproduktionsarbeit inklusive einer sehr spannende Stadtführung durch das ehemals realsozialistische Sofia. Hierfür möchte ich mich an der Stelle bedanken!
Die Genoss*innen auf dem Treffen teilen die grundlegende Ansicht, dass in der heutigen polit-ökonomischen Situation die Linke ihre Kampfarena über die Grenzen des Nationalstaats hinaus erweitern muss, wenn sie die Interessen der Unterdrückten erfolgreich durchsetzen will. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Wichtiges Thema des Treffens war zum einen der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Zuge einer neuen globalen Blockbildung zwischen den imperialistischen Großmächten. Bedeutend für die Teilnehmenden waren vor allem die politökonomischen Folgen für die Bevölkerungen der europäischen Staaten wie Inflation und die Kriegskosten, für die nun die europäische Arbeiter*innenklasse aufkommen soll. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Lage von Frauen und LGBTQ+ sowie Migrant*innen im Krieg. Zum anderen fanden Diskussionen zu der sich immer weiter zuspitzenden Klimakrise statt, wobei auch die negative Auswirkung des Krieges für das Weltklima hervorgehoben wurde. Für uns war insbesondere der Austausch mit Genoss*innen aus osteuropäischen Ländern zu diesen Fragen wichtig, die etwa zum russischen und EU-Imperialismus ein anderes Verhältnis haben als wir, also Bewohner* des europäischen Hegemon Deutschland. Im Folgenden werde ich zunächst auf die Situation der Linken in Bulgarien eingehen, da ich glaube, dass die dortige Situation in Deutschland weitgehend unbekannt ist, und zugleich Bezüge zu den Debatten auf dem TSS-Meeting herstellen. In einem zweiten Teil werde ich mich einer Kritik des Treffens widmen.
Zu den Kampfbedingungen der bulgarischen LinkenBei der Darstellung der politischen Situation in Bulgarien beziehe ich mich nur auf die Erfahrungen, die Genoss*innen der feministischen Gruppe LevFem und der arbeitskampforientierten Gruppe Konflikt mit uns geteilt haben. Bulgarien war seit dem Ende des WK II Teil des imperialen Blocks der Sowjetunion gewesen. Die Vertreter*innen des realsozialistischen Regimes leiteten im Zuge der Massenproteste im Ostblock 1990 Wahlen ein, wobei die Proteste in Bulgarien kleiner waren als in anderen Staaten. Wie in den meisten anderen Ostblock-Staaten ging die postsozialistische Transformation Bulgariens mit einer enormen Deindustrialisierung und dem Verlust von Arbeitsplätzen einher. Die Reformen, die im Zuge Bulgariens EU-Beitritts 2007 stattfanden, sorgten für eine weite Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen. Mehrere Genoss*innen aus ehemaligen Ostblock- und Sowjet-Staaten beschrieben die Erfahrungen der Einführung des Kapitalismus...
»Die Mauer zum Postfaschismus ist durchbrochen«
Was der Wahlsieg Giorgia Melonis und ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia für die italienische Linke bedeutet und warum sich soziale, ökologische und feministische Kräfte gegen die neue rechte Hegemonie verbünden müssen, argumentiert Giansandro Merli in diesem Text.
Die Wahl
Die erste weibliche Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens wird Giorgia Meloni heißen. Noch steht die offizielle Amtseinführung aus, aber die Wahlergebnisse sprechen für sich: Die Rechtskoalition hat eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Die Fratelli d'Italia (FdI) erhielten 26 Prozent und setzten sich von den beiden anderen Bündnispartnern deutlich ab: der Lega von Matteo Salvini (8,9 Prozent) und der Forza Italia des unsterblichen Silvio Berlusconi (8,3 Prozent). Die beiden Spitzenpolitiker müssen einen Schritt hinter Meloni treten, aber ihre Stimmen werden für die Aufrechterhaltung der Regierung in beiden Kammern des Parlaments notwendig sein.
Im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen im Jahr 2018 hat die FdI ihren Stimmenanteil versechsfacht, dies vor allem auf Kosten der anderen rechtsgerichteten politischen Kräfte. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass sie in allen drei Regierungen der letzten Legislaturperiode in der Opposition war: Erste Regierung Conte (Movimento 5 Stelle - Lega); Zweite Regierung Conte (Movimento 5 Stelle - Partito democratico); Regierung Draghi (technokratische Regierung bestehend aus allen Parteien außer der FdI).
Zwei weitere Faktoren begünstigten den Sieg der Rechten: ein sehr kompliziertes Wahlgesetz, das ein Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht kombiniert und Koalitionsbildungen belohnt. Und die Entscheidung des Sekretärs der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, die Koalition mit dem Movimento 5 Stelle (M5S) zu sprengen, nachdem dieser der Regierung Draghi das Vertrauen entzogen hatte. Lettas Wahlkampf, der 19 % der Stimmen brachte, scheiterte an allen Fronten. Er wollte in der Auseinandersetzung zwischen ihm und Meloni polarisieren und dann im Angesicht einer faschistischen Gefahr die voti utili (1) einsammeln. Beides ist ihm nicht gelungen.
Vor allem in den letzten Wochen und insbesondere im Süden hat der M5S, der noch vor wenigen Wochen für tot gehalten wurde, schnell wieder an Zustimmung gewonnen. Im Süden wurde er stärkste Partei, mit sehr hohen Prozentsätzen in den Armenvierteln der Städte. Landesweit lag der M5S mit 15,6 % hinter der PD. Im Vergleich zu den Wahlen 2018 ist er die politische Kraft, die in absoluten Zahlen die meisten Stimmen verloren hat, nämlich rund 6 Millionen. Und dennoch kann er mit dem Ergebnis zufrieden sein. Während der Legislaturperiode hat der M5S unter der Führung von Giuseppe Conte, einem bis dato unbekannten Rechtsanwalt aus der Provinz Foggia, der vor vier Jahren aus dem Nichts ins Rampenlicht der nationalen Politik getreten ist, sein Gesicht gewechselt. Aus einer Mischung von populistischen Forderungen, die weder rechts noch links waren und dem M5S erst zu einer Regierung mit der Lega und unmittelbar danach mit der Demokratischen Partei verhalfen, hat er sich neu aufgestellt. In sozialen und ökologischen Fragen gilt er als linker als Lettas Partei. Nicht weil der M5S besonders radikale Positionen vertritt, sondern weil die PD sich weiter in die Mitte bewegt hat. Wie die geografische Verteilung der Stimmen und die Verteilung nach Einkommensklassen zeigen, wurde der M5S bei...
Vergesellschaftung und ökologische Klassenpolitik
Über 1400 Menschen diskutieren auf der Vergesellschaftungskonferenz in Berlin welche Antworten Vergesellschaftung auf die brennenden Fragen von erschwinglichen Wohnungen für alle, der Mobilitäts- und Energiewende oder der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern geben kann. Ein Gespräch mit Laura Meschede von Klimaschutz und Klassenkampf und Justus Henze aus dem Organisationsteam der Konferenz.
arranca!: Die Bundesregierung verstaatlicht Uniper, die IG BAU fordert eine Teilverstaatlichung von großen Wohnungskonzernen und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas möchte eine Verstaatlichung von Wasser-, Strom- und Gasversorgung neu diskutieren. Was unterscheidet diese Debatte um öffentliches Eigentum von der Vergesellschaftung, auf die Deutsche Wohnen und Co. enteignen oder ihr mit der Vergesellschaftungskonferenz hinauswollen?
Justus: Die aktuellen Debatten zeigen, dass die Eigentumsfrage auch dank Deutsche Wohnen und Co. enteignen zurück ist. Selbstverständlich gehört die Grundversorgung im Sinne von allgemeinen Basisleistungen wie Wohnen, Bildung oder eben Energie vollständig in öffentliches Eigentum. Die momentanen Verstaatlichungen folgen jedoch dem klassischen Krisenmodell, der Sozialisierung von Verlusten. Solidarische Vergesellschaftung geht weit über die Änderung des Eigentumstitels hinaus: Es geht darum, die Wirtschaft zu demokratisieren und langfristig an gesellschaftlichen Interessen auszurichten. Im Energiesektor würde das bedeuten, die großen Konzerne zu enteignen und auf verschiedenen Ebenen demokratische Planungsprozesse für den ökologischen Umbau zu beginnen. Die Enteignung ist dafür nur der erste Schritt. Danach geht es darum, demokratische und politisierte Organisationsformen zu schaffen. Deutsche Wohnen & Co. enteignen hat mit dem Konzept einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) einen guten Vorschlag für den Wohnsektor gemacht. Dabei geht es eben nicht darum, die Wohnungen an den Berliner Senat zu übergeben, sodass dieser sie bei nächster Gelegenheit wieder privatisieren kann. Das wollen wir für andere Sektoren durchdenken und demokratische Planung jenseits von Markt und Staat politisch diskutieren.
arranca!: Als Gruppe Klimaschutz und Klassenkampf seid ihr bei der Vergesellschaftungskonferenz dabei. Wieso und an welchen Stellen ist die Eigentumsfrage für eure politische Arbeit relevant? Was sind eure Perspektiven auf die aktuellen Vergesellschaftungskampagnen?
Laura: Klimaschutz und Klassenkampf ist als Kampagne in einem konkreten Kampf um das Werk eines Münchner Automobil-Zulieferers entstanden. Dieses Werk – ein BOSCH-Werk – sollte geschlossen werden, angeblich für den ‹Klimaschutz›. In dem Werk werden Einspritzdüsen für Diesel-Motoren hergestellt. Tatsächlich ging es nicht um Klimaschutz, sondern darum, das Werk nach Osteuropa zu verlagern, um geringere Löhne zahlen zu können. Wir als Klimaaktivist*innen haben uns mit den Beschäftigten des Werkes zusammengeschlossen und gefordert, dass das Werk erhalten bleibt und dass die Produktion auf klimafreundliche Produkte umgestellt wird. Man hätte in dem Werk beispielsweise Wärmepumpen bauen können. Obwohl mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in einem offenen Brief erklärt haben, dass sie für die Umstellung der Produktion auf klimafreundliche Produkte einstehen, hat sich das Management von BOSCH geweigert, diese Umstellung umzusetzen. Eigentlich keine Überraschung: Wie jeder Konzern produziert natürlich auch BOSCH nur das, was ihnen die meisten Profite bringt. Unsere Kampagne hat gezeigt, dass es nicht die Beschäftigten sind, die einer klimafreundlichen und bedürfnisorientierten Produktion entgegenstehen. Es sind die Eigentumsverhältnisse.
arranca!: Der Erfolg von Deutsche Wohnen & Co enteignen zeigt ja, dass Enteignung durchaus populär sein kann. Ist es an der Zeit, die Vergesellschaftung von Autokonzernen...
Der Kampf für die Enteignung und Vergesellschaftung von Energiekonzernen
Die aktuelle Energiekrise zeigt deutlich, warum man die Energieversorgung nicht dem Markt überlassen sollte – und warum große Energiekonzerne dringend enteignet und vergesellschaftet werden müssen, wie es die Initiative »RWE & Co. enteignen« fordert. Dass diese Debatte nicht neu ist und welche grundlegenden strategischen Fragen damit verbunden sind, zeigt der folgende Text der initiative k aus Düsseldorf, der 2012 in unserer Enteignungsbroschüre erschienen ist.
Der Impuls für die Beschäftigung mit diesem Thema kam in Düsseldorf nicht aus der Ökologie-Bewegung, sondern aus dem Bereich der Sozialen Kämpfe: Wir, die initiative k, beschäftigten uns seit unserer Gründung im Jahre 1994 sowohl theoretisch als auch praktisch mit dem Themenbereich Stadtentwicklung, Wohnungsnot, Armut. Dabei tauchte auch immer häufiger das Problem der armutsbedingten Stromabschaltungen auf.
Neben kleineren lokalen Interventionen wandten wir uns im Frühjahr 2008 mit dem Papier »Warum die Kampagne zur Enteignung und Vergesellschaftung von Energiekonzernen für die (radikale) Linke Sinn macht« an die Offene Arbeitskonferenz der »Interventionistischen Linken« (iL). In dem Papier formulierten wir:
»Für uns ist die Eigentumsfrage die Grundfrage in Hinblick auf die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie. Ohne Überwindung des Privateigentums an (zumindest den zentralen) Produktions- und Distributionsmitteln kann u.E. keine nachkapitalistische, emanzipatorische Gesellschaft entstehen. Dabei wissen wir, dass die Enteignung notwendig, aber nicht hinreichend ist. Wir benutzen daher das Wortpaar Enteignung und Vergesellschaftung in unserer Arbeit, um den demokratischen und emanzipatorischen Charakter unseres Ziels zu beschreiben. Vergesellschaftung meint u.a. die Herstellung von dauerhafter demokratischer Kontrolle, partizipativen Gestaltungsmöglichkeiten, ökologisch und sozialer Zielorientierung und teilweiser Dezentralisierung.«
Zur Begründung, warum wir die Beschäftigung ausgerechnet mit Energiekonzernen für sinnvoll halten, führten wir aus:
»Weil anhand der Strom- und Mineralölkonzerne exemplarisch die Schädlichkeit des Kapitalismus für die Mehrheit der Bevölkerung demonstriert werden kann – und weil es jede Menge Anknüpfungspunkte für (radikal) linke Politik gibt.
Wir denken, dass die Energiekonzerne berechtigterweise verhasst sind. Ihre Oligopole sorgen für Extraprofite, herausgepresst aus den Millionen von Strom, Öl, Gas und Benzin abhängigen Menschen in diesem Land. Jede Nachzahlung , jede Preiserhöhung sorgt für Ärger – dem stehen satte Profite gegenüber.
Die Energiekonzerne werden von vielen Menschen aus sozialer, ökologischer und demokratischer Sicht als ein Übel ersten Ranges begriffen, was uns die Argumentation für ihre Enteignung und Vergesellschaftung erleichtert. Darüber hinaus denken wir, dass die Lösung der ökologischen Frage (Klimakatastrophe, AKWs etc.) für die Menschheit überlebenswichtige Bedeutung hat – und dass das Zeitfenster für die Lösung stetig kleiner wird.«
Als Elemente einer langfristigen, kontinuierlichen Arbeit zu diesem Thema wurden u.a. genannt:
»Kampf gegen die Privatisierung von städtischen Energieunternehmen bzw. für die Rekommunalisierung. Kampf für Sozialtarife in der Energiegrundversorgung. Kampf gegen Kohle- und Kernkraftwerke. Kampf für die Durchsetzung alternativer Energien in der Region. Kampf gegen die Verwendung von Nahrungsmitteln als Biosprit.«
Das Papier hält fest: »Unser Erfolg hängt davon ab, ob auch andere Gruppen bereit sind, die Eigentumsfrage aufzugreifen. Wir haben daher hohes Interesse an einer Zusammenarbeit mit anderen Gruppen.«
Wenn jetzt, vier Jahre später, eine Zwischenbilanz zu ziehen ist, so enthält diese Fortschritte und Stagnation, aber erfreulicherweise keine Rückschritte.
Ein wichtiger Fortschritt ist in der Ausdehnung des Diskurses in...
Vergesellschaftung als roter Faden interventionistischer Politik
Spätestens seit dem erfolgreichen Volksbegehren von »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« ist »Vergesellschaftung« in der deutschen Linken in aller Munde. Zur anstehenden Vergesellschaftungskonferenz in Berlin haben sich weit über eintausend Teilnehmende angemeldet. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einzelne Beiträge unserer 2012 erschienenen IL-Vergesellschaftungsbroschüre hier auf dem Blog – als Rückblick auf unsere eigene Geschichte und als Anstoß für zukünftige Debatten. Wir beginnend mit Vorwort und Einleitung.
VorwortDiese Broschüre dokumentiert den Stand einer Debatte in der »interventionistischen Linken« (iL) aus dem Frühjahr 2012. Sie beschäftigt sich anhand konkreter Beispiele mit dem Konzept der Vergesellschaftung. Die Texte der Gruppen entspringen ihrer politischen Arbeit in den Tätigkeitsfeldern Energie, Gesundheit, Recht auf Stadt und Care-Arbeit. Sie machen deutlich, wie vielfältig die sozialen Auseinandersetzungen sind, die derzeit geführt werden (müssen). Zugleich zeigen sie auch, dass die vermeintlich so unterschiedlichen Kampfe über eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten verfügen.
Ausgangspunkt aller Beitrage sind die vielfältigen Probleme, die von der kapitalistischen Profitlogik andauernd hervorgebracht und durch die derzeitige Krise weiter verschärft werden. Das macht besonders deutlich, dass es grundlegender Veränderungen bedarf. Insbesondere dort, wo die Folgen neoliberaler Krisen»lösungen« besonders drastisch sind, sind Menschen gezwungen, zentrale Lebensbereiche selbst zu gestalten und zu organisieren.
Dabei zeigt sich, dass die notwendige Überwindung der Profitlogik verknüpft ist mit der Frage, wie die jeweiligen Bereiche – letztendlich aber auch die gesamte Gesellschaft – anders, solidarisch und ohne Kapitalismus organisiert werden können. Diese Broschüre soll der Anfang einer breiten Debatte darüber sein, wie eine solidarische Gesellschaft konkret aussehen kann, und wie wir sie in die Realität umsetzen oder ihr zumindest Schritt für Schritt näher kommen können.
Wir wenden uns mit dieser Broschüre insbesondere an die assambleas auf den Plätzen, die Foren von Gewerkschafter*innen, an Vollversammlungen und Zusammenschlüsse von Betroffenen. Wir hoffen, dass wir so einen Beitrag dazu leisten können, dass sie sich über den Weg zu einer neuen, freien, solidarischen Gesellschaft austauschen und neue Formen der Organisation als einen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme auffassen. Entscheidend ist, dass diese neuen Formen ausprobiert und erprobt werden, denn eine freie Gesellschaft kann nicht am Reißbrett entworfen werden. In diesem Sinne wollen wir hier Denkanstöße, Vorschläge und Ideen liefern – vor allem aber dazu aufrufen eine mutige, offensive und neue Praxis zu entwickeln.
Einleitung Warum diese BroschüreSpätestens die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat vielen Menschen vor Augen geführt, dass eine kapitalistisch organisierte Welt nicht das Gelbe vom Ei ist. Doch trotz aller Legitimitätsprobleme sitzt der Kapitalismus scheinbar unumstößlich im Sattel. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass es seinen Verfechter*innen immer wieder gelingt, den Kapitalismus als absolut alternativlos darzustellen. Und das liegt wiederum auch daran, dass es progressiven gesellschaftlichen Kräften nicht gelingt, dieser Alternativlosigkeit eine über den Kapitalismus hinausweisende und zugleich greifbare Perspektive entgegenzusetzen.
In Ermangelung einer solchen Perspektive sind unsere Kämpfe selten nach vorne gerichtet, sondern häufig Abwehrkämpfe oder beschränken sich auf Minimalforderungen, die wie Rettungsmaßnahmen oder Schönheits-OPs wirken und dadurch den Kapitalismus sogar stabilisieren können. Eine Alternative zum Kapitalismus wird dadurch nicht vorstellbar.
Innerhalb der Gesellschaft besteht eine Vielzahl von Konflikten, die vereinzelt ausgetragen...
Winter is coming – RWE & Co enteignen!
Die Krisen dieser Zeit zeigen: Klima und soziale Frage müssen nicht »zusammen gedacht werden«, sondern sind unweigerlich miteinander verbunden; same shit einer menschenfeindlichen und kapitalistischen Energieproduktion. Im Rahmen der überregionalen Großdemo »Enteignen statt Krise« trägt die Klimagerechtigkeitsbewegung die Forderungen nach einer vergesellschafteten Zukunft auf die Straße.
Die Realität der Energiearmut…Energie haben oder nicht haben, nicht ohne Grund gibt es für letzteres einen Begriff: Energiearmut. In Großbritannien gilt als »energiearm«, wer mehr als 10 Prozent des Nettoeinkommens für Strom, Gas und Heizung zahlt. In der BRD gibt es keine einheitliche Definition. Hier zeigt sich: Obwohl 2019 bereits knapp 300.000 Haushalten der Strom abgeklemmt wurde, fand nie eine richtige öffentliche Debatte darüber statt, was Steckdose und Heizung mit Armut zu tun haben. Diese Debatte ist spätestens in diesem Herbst überfällig.
Was uns diesen Winter erwartet, ist nichts anderes als der größte Sozialabbau seit Hartz IV. Während bisher schon ein Viertel der Haushalte in der BRD nach der oben genannten Definition energiearm waren, werden in diesem Winter knapp 30 Millionen ihre Energierechnung gar nicht mehr zahlen können, prognostiziert der Mieterbund. Eine bisher unter den Teppich gekehrte Problematik wird nun zum Massenphänomen.
…und die Absurdität der GasumlageWas als »Rettungsmaßnahme« daherkommt, entpuppt sich immer mehr als Umverteilung von unten nach oben. Während RWE seine Gewinnprognose neulich erst um über eine Milliarden nach oben korrigiert hat, müssen Endverbraucher*innen den Konzernen zusätzliche Profite direkt in die Tasche zahlen. Statt der Einführung der Gasumlage sollten jetzt sofort Übergewinne besteuert, Energiepreise gedeckelt und Sicherheit vor Zwangsräumung und Stromklemmen garantiert werden. Und das wäre nicht mal ein Stück vom Kuchen, sondern das absolute Minimum. Und bekanntlich wollen wir ja die ganze Bäckerei …
Energie wird und wurde immer schon in höchstem Maße nach politischem Interesse verwertbar gemacht, ohne Rücksicht auf Verluste. Jetzt strauchelt genau diese fossile, versteinerte Energieversorgung in Europa massivst und die allerersten Manifestationen einer sich anbahnenden Versorgungsknappheit werden per Gasumlage an Verbraucher*innen weitergegeben, ohne mit der Wimper zu zucken.
Wichtige WeichenstellungenEs wird ein falscher Widerspruch zwischen Klima und sozialer Frage konstruiert, dabei wird keine Kohle- und Atomkraft der Welt sicherstellen, dass alle im Winter heizen können. Und trotzdem: Wenn Energie für die breite Gesellschaft ein Luxusgut wird, können wir unsere Forderung nach ökologischer und erneuerbarer Energie direkt stecken lassen.
Mittlerweile bekommen wir Sozialabbau und Rechtsruck in Grün und eine »neue RWE«, vegane IKEA-Fleischbällchen und der obligatorische Nachhaltigkeits-Reiter auf jeder Konzernwebsite. Dies sind nur einige Beispiele der endlosen Greenwashing-Kampagnen. Wir müssen uns wirklich fragen: Ist die Überwindung des Kapitalismus tatsächlich noch Ziel und Utopie? Oder haben wir uns gehen lassen, sind ein aktualisierender Arm des Hegemonieprojekts »grünes Wachstum« geworden?
Uns geht es darum, greifbar zu machen: Die Frage um Stromversorgung ist grundsätzlich nicht mit einer Marktlogik vereinbar, noch weiter, sie muss ihr entzogen werden!
Die aktuellen Krisen spitzen sich zu. Wir müssen Antworten finden.Und auch von glühenden Hitzesommern und eiskalten Wintern wissen wir schon seit Jahren. Dass diese uns nicht erst ab 2050 erwarten, ist die eine Sache. Dass eine angemessene Vorbereitung oder gar eine...
»Mit einem Fuß in der Institution und mit dem anderen auf der Straße«
Am 4. September wird in Chile über die neue Verfassung abgestimmt. Mit Javiera Manzi, Soziologin und feministische Aktivistin, sprechen wir über die Potenziale und Grenzen des Verfassungsprozesses und über die feministische Streikbewegung.
Die gegenwärtige Verfassung Chiles stammt aus der Zeit der Diktatur unter General Augusto Pinochet. Darin verankert ist ein neoliberales Finanz- und Politikmodell, das den Sozialstaat auf ein Minimum reduziert und soziale Infrastruktur weitestgehend dem privaten Sektor überlässt. Im Herbst 2019 entzündete sich nach der Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr eine soziale Revolte, die über mehrere Monate andauerte und landesweite Massenproteste nach sich zog. Der politische Kitt der Revolte lag in der Forderung, den Neoliberalismus zu beenden. »Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren und wird in Chile sterben«, war die Parole der Revolte. Der Prozess um eine neue Verfassung ist somit die Errungenschaft sozialer Bewegungen.
2021 wurde eine Verfassungsgebende Versammlung demokratisch gewählt. Dieser Versammlung gehörten Vertreter*innen der Umwelt- und feministischen Bewegungen an, von indigenen Gemeinschaften, sowie Akteur*innen aus der vorausgegangen Protestbewegung. Den Vertreter*innen ist es unter anderem gelungen ein Recht auf Sorge, sowie Rechte für Klima und Umwelt mit Verfassungsrang festzuschreiben. Unter Wahlpflicht entscheiden nun am 4. September die Menschen in Chile, ob die Verfassung angenommen oder abgelehnt wird. Unsere Gesprächspartnerin Javiera Manzi ist in feministischen Kämpfen und der Kampagne für ein „Ja“ zur neuen Verfassung im Abschlussplebiszit aktiv.
Debattenblog: In Chile bereitet ihr gerade das große Referendum am 4. September für den neuen Verfassungsentwurf vor. Wie kam es dazu? Wie hast du die letzten Monate erlebt?
Javiera: Aktuell sind wir Teil des Verfassungsprozesses, der mit einer sozialen Revolte und dem Aufstand am 18.Oktober 2019 begonnen hat. Deswegen ist es mir wichtig ,dass wir uns in Erinnerung rufen,dass dieser Prozess mit massiven sozialen Mobilisierungen auf der Straße begann, und seinen Ursprung nicht im Parlament hat. Unsere Bewegung hatte keine Anführer*innen oder Repräsentant*innen, sondern war ein spontaner Ausbruch gegen den Neoliberalismus und die Prekarisierung des Lebens in Chile. Nun steht der verfassungsgebende Prozess, kurz vor seinem Ende. Am 4. September werden wir in Chile über den endgültigen Verfassungsentwurf abstimmen. All das ist jetzt schon ein großer Erfolg für die sozialen Bewegungen und die chilenische Linke. Wir haben das politische System verändert und konnten viele soziale Rechte in der Verfassung verankern, etwa in Bezug auf den Schutz der Umwelt und die Rechte der Natur, insbesondere aber auch durch feministische Forderungen und Veränderungen im Justizsystem. Wir hoffen, dass wir die Mobilisierungen am 4. September mit einer massiven Zustimmung zur Verfassung abschließen können.
Wie kam es dazu, dass ihr euch dafür entschieden habt, eine neue Verfassung zu schreiben? Und was ist die Rolle sozialer Bewegungen in einem solchen Prozess?
Ich bin Teil der Coordinadora 8M. Wir organisieren seit 2018 jeden 8. März einen feministischen Streik und kämpfen gegen die Prekarisierung des Lebens. Für uns war es sehr wichtig zu verstehen, dass der verfassungsgebende Prozess eine historische Chance ist, die autoritäre und neoliberale institutionelle Struktur in Chile zu zerschlagen. Als feministische Bewegung wollen wir nicht nur als ein Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung...
Sri Lanka und der verschleiernde Blick des Westens
Trotz aller Begeisterung für die jüngsten Massenproteste: Die gesellschaftliche Situation in Sri Lanka und vor allem die Lebensbedingungen der Minderheiten sind für den Großteil der deutschsprachigen Linken ein blinder Fleck. Sowmya Maheswaran ordnet die aktuelle Protestbewegung kritisch ein, erklärt den globalen, neokolonialen Kontext und plädiert für mehr Selbstkritik innerhalb der Linken.
Tagelang gingen vulgär-politische Bilder von Protestierenden in Sri Lanka, die in der Hauptstadt Colombo in den Pool des Präsidentenpalasts springen, viral. Obwohl sich bis dato westliche Medien, insbesondere im deutschsprachigen Raum, selten für die Belange des Landes interessierten, wurde plötzlich fast einvernehmlich »der Sturz des bösen Diktators« als »proletarischer Erfolg von unten« gefeiert. Dass Gotabaya Rajapaksa im Kontext des sri-lankischen Staatsbankrotts fluchtartig verschwinden musste, ist gut. Die Ereignisse seit der Präsidentschaftswahl am 20.Juli 2022 geben allerdings einen Vorgeschmack auf eine repressive und wenig hoffnungsverheißende Zukunft. Für die Minderheiten des Landes kommt das alles wenig überraschend. Damit offenbart sich der denkwürdige Aspekt, dass der westliche – auch teils linke – Blick sich mit seinen unterkomplexen Repräsentationen aus Sri Lanka bis heute weigert, von der gewaltvollen lokalen Geschichte der Eelam-Tamil*innen zu lernen. Eine selbstkritische Linke sollte sich die Frage stellen, inwiefern sie damit zielsicher zur Verschleierung neokolonialer und imperialer Verstrickungen des Globalen Nordens beiträgt.
Und die globale Ordnung bleibtKaum zwei Wochen ist es her, dass der ehemalige Präsident Rajapaksa unter massiven Protesten Sri Lanka verließ. Obwohl man sich zum Wahltag und zeitgleichen Geburtstag des antikolonialen Denkers Frantz Fanons am 20. Juli eine Episode der revolutionären Transformation nur gewünscht hätte, hilft alles romantische Herbeisehnen nichts: Die Wahl des vorher sechsfachen Premiers Ranil Wickremsinghe zum Präsidenten spricht eher Bände über die verfahrene politische und ökonomische Krise, deren Wurzeln unter anderem in globalen Machtdynamiken liegen. Wickremesinghe steht für eine gen Westen geöffnete elitäre Politik der Neoliberalität. Seit seiner Machtübernahme geht er mit krassester Militär- und Polizeigewalt gegen Protestierende vor, obwohl er kurz vorher noch Verständnis für sie äußerte und friedliche Lösungen ankündigte. Dafür kann der Internationale Währungsfonds, der sich bisher in Bezug auf Kreditvergaben sehr verhalten zeigte, sich diese seit dem Machtwechsel nun scheinbar doch vorstellen. Die globale Ordnung westlicher Hegemonie reproduziert sich damit unverhohlen weiter.
Unabhängigkeit heißt nicht auch EntkolonialisierungDie Berücksichtigung tamilischer Perspektiven genauso wie geopolitischer Aspekte ist dringend notwendig, um die Geschehnisse auf Sri Lanka soziopolitisch und historisch einordnen zu können.
Was die allermeisten westlichen – und linken – Darstellungen der Proteste nicht benennen: Der buddhistische Nationalismus der heute gegen ökonomische Prekarität protestierenden Singhales*innen, gekoppelt mit dem britischen Kolonialerbe eines nach Mehrheitswahlrecht agierenden Staates sorgt auch fast 75 Jahre nach der Unabhängigkeit für anhaltende Gewalt gegen Tamil*innen. Von einer faktischen Entkolonialisierung kann für sie noch lange nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Die mitunter über angebliche archäologische Befunde und »Entwicklungsprojekte« legitimierte Siedlungspolitik der Regierung sowie die anhaltende Militarisierung des tamilischen Nordostens zeugt auch 13 Jahre nach Kriegsende eher von einer fortschreitenden singhalesischen Kolonisierung tamilischer Gebiete. Rassistische Politiken gegenüber den tamilischen und weiteren Minderheiten haben in Sri Lankas Geschichte eine von weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft immer wieder demokratisch legitimierte Grundlage....
Die IL ist zu weiß, oder nicht?
Der Text basiert auf den Auseinandersetzungen am letzten BPoCKanax-Wochenende der IL. Die Auseinandersetzungen, die uns beschäftigen führen wir konkret in und mit der IL. Sie sind aber Ausdruck von Herausforderungen, die insgesamt in der Linken bestehen.
Wir in der IL?
Die Entscheidung zur IL eint uns. Sie zeigt, dass wir unsere politischen Kämpfe nicht von „unseren Identitäten“ ausgehend führen wollten. Die politischen Ausgangspunkte sind stattdessen eher: undogmatisch, linksradikal, überregional. Oder Bestrebungen wie: nicht nur in und für die Szene, im gesellschaftlichen Handgemenge (das auch aus weißen Deutschen besteht), internationalistisch. Uns allen geht’s ums Ganze und nicht darum unsere Kämpfe v.a. unter dem Vorzeichen „antirassistisch“ zu führen.
Warum nicht zur IL? Wir haben keine Angst. Weder vor euch und den möglichen rassistischen Erfahrungen, den Enttäuschungen und Verletzungen, noch davor Verrat an „unseresgleichen“ zu begehen. Wir halten diese Ängste für „falsche“ Ängste. Wir wissen um die Gemeinsamkeiten zwischen „uns“ und „euch“ und halten es für notwendig, sie im Fokus zu behalten. Wir verstehen uns als vertrauensvoll (persönlich + dass es ein ernsthaftes Interesse gibt auch rassistische Verhältnisse überwinden zu wollen) miteinander und angewiesen aufeinander – auf vielen Ebenen. Auf dieser Grundlage lässt sich unseres Erachtens mit Rassismen umgehen. Wir wissen auch um die Unterschiede zwischen „uns“ und „euch“ und die blinden Flecken – wir glauben gerade deshalb, dass es falsch wäre euch unter „euresgleichen“ zu belassen. Identität ist also nicht der Ausgangspunkt bei der Frage, mit wem wir uns organisieren wollen. Das heißt: Wir bleiben!
„Identisch“ ist mensch am Ende nur mit sich selbst. Alleinsein steht aber im Widerspruch zu Solidarität. In Zeiten der neoliberalen Vereinzelung scheint uns Solidarität als etwas gemeinsames, kollektives wichtiger denn je. Wir wissen, dass es möglich ist in unseren Unterschieden, in unserem unterschiedlich Getroffensein, gemeinsam politisch zu kämpfen. Alles andere würde die Idee von Solidarität verwerfen. Wir sind sicher, wir können in allen Unterschieden ausgehend vom Gemeinsamen agieren, wenn ihr gewillt seid, die Gemeinsamkeit in antirassistischen Kämpfen zu suchen und zu finden. Das, was sich so mutig und kämpferisch liest, hat für uns mit sozialem Kapital zu tun – mit schmerzlichem sozialen Kapital: Wir wissen uns in den Lebens-, Beziehungs- und aus Klassenzusammenhängen, aus denen wir ursprünglich kommen, zu bewegen. Aber wir wissen uns auch an Orten wie der Universität und in der IL zu bewegen. Dieses „sich darin bewegen können“ ermöglicht uns sehr viel, aber es ist auf verschiedenen Ebenen auch schmerzlich. Denn all das sich bewegen „können“ kommt nicht zuletzt auch von einem es „müssen“. So finden wir uns auch in der IL manchmal Deutscher als sonst. Nicht zuletzt deshalb führen viele von uns Kämpfe, insb. antirassistische Kämpfe auch oder stärker außerhalb der IL. Dieses soziale Kapital entsteht nicht nur in alltäglichen Zwängen (Performancedruck in der Schule o.Ä.), sondern führt auch dazu überhaupt in Zwänge zu kommen - also auch das “können” führt wieder zum “müssen”: Bestimmte Anteile unserer Selbst performen zu können, zwingt uns auch dazu andere kontinuierlich nach hinten zu stellen oder zu unterdrücken. So ist die (post-)migrantische Beziehungsstruktur ständig geprägt von Unzugehörigkeit,...
Den Endgegner enteignen
Der Einfluss großer Wohnungskonzerne am deutschen Wohnungsmarkt nimmt weiter zu. Für Mieter*innen und unsere Städte insgesamt heißt das nichts Gutes. Umso wichtiger, dass auch die Mietenbewegung ihre Kräfte bündelt und die bundesweite Organisierung gegen Vonovia & Co. vorantreibt, argumentieren Anna und Felix aus der überregionalen Recht auf Stadt-AG der IL in ihrem Artikel. Im Rückblick auf die Enteignungskonferenz von »Deutsche Wohne & Co. enteignen« in Berlin zeichnen sie strategische Diskussionen nach und informieren über nächste Schritte.
Wie kann die angestrebte Enteignung und Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne trotz der Blockadehaltung der Berliner Politik durchgesetzt werden? Was lässt sich von der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« (DWE) lernen? Und wie geht es mit der Mietenbewegung insgesamt weiter? Das sind einige der zentralen Fragen, die wohnungspolitisch Aktive aktuell umtreiben – und zwar längst nicht nur in Berlin. Unter dem Slogan »Wir müssen reden« sind deshalb vom 27. bis 29. Mai auf Einladung von DWE über 700 Aktivist*innen und Interessierte aus Berlin und dem ganzen Bundesgebiet – sowie teilweise dem europäischen Ausland – zur großen Enteignungskonferenz an der TU Berlin zusammengekommen. Bei Workshops, Podien, Pausengesprächen und einer rauschenden Party haben wir gemeinsam diskutiert, voneinander gelernt und Netzwerke vertieft.
Erste Eindrücke von der EnteignungskonferenzKeine Frage: Die Enteignungskonferenz hat Spaß gemacht und war eine großartige Erfahrung. Ob sie auch ein politischer Erfolg war und was aus ihr folgt, wird jetzt im Nachgang diskutiert. Wir wollen zu dieser Debatte beitragen, beschränken uns dabei jedoch auf jenen Teil der Konferenz, den wir als Mitglieder der überregionalen Recht auf Stadt-AG der Interventionistischen Linken (IL) organisiert haben: die dreiteilige Workshopreihe »Bundesweit gegen Vonovia & Co.«, die ebenso wie Workshops zu lokalen Bürger*innenbegehren und zum aktuellen Stand bei der Kampagne Mietenstopp der bundesweiten Vernetzung von Aktiven diente. Ziel unserer Workshops war es, gemeinsam über bundesweite Strategien und Ansätze gegen große Wohnungskonzerne zu beraten sowie konkrete Schritte zum Bewegungsaufbau und zur Ausweitung der Enteignungs- und Vergesellschaftungsdynamik über Berlin hinaus zu planen.
Als erstes Fazit können wir festhalten: Die kontinuierliche, aktive Teilnahme von mindestens 30, in Hochphasen über 60 Aktiven an den Workshops zeigt, dass es ein großes Interesse an bundesweiter Vernetzung zu Vonovia & Co. gibt. Dies spiegelt auch die vielfältige Zusammensetzung der Teilnehmenden wider: In den Debatten vertreten waren nicht nur Aktive von DWE, der Initiative »Hamburg enteignet«, dem VoNOVia-Bündnis oder dem #NoVonovia-Bündnis gegen die Vonovia-Aktionärsversammlung in Bochum sowie von vielen lokalen Mietinitiativen aus dem ganzen Bundesgebiet (von Bremen bis Stuttgart, von Aachen bis Leipzig), sondern auch Vertreter*innen des Deutschen Mieterbundes und der Kritischen Mietaktionär*innen. Umso auffälliger war demgegenüber, dass – ebenso wie bei der Enteignungskonferenz insgesamt – nur wenige Aktive aus der Partei DIE LINKE, der radikalen Linken und der Recht auf Stadt-Szene anwesend waren. Letztere orientierte offenkundig stärker auf das jährliche Recht auf Stadt-Forum, das nur zwei Wochen später in Jena stattfand. Hier eine stärkere Brücke zu bauen, wird für die Zukunft eine wichtige Aufgabe sein.
Einig waren sich die Teilnehmenden der Workshops in der Einschätzung, dass DWE kein einzelner Leuchtturm bleiben dürfe, sondern von Berlin aus ein...
Keine Militanz ist auch keine Lösung
Wie weiter in der Klimagerechtigkeitsbewegung, wenn die bisherigen Aktionsformen an offensichtliche Grenzen stoßen? Während in der Presse vor einer »grünen RAF« schwadroniert wird, diskutiert die Bewegung selbst sehr viel konkreter und zielorientierter – zum Beispiel im Folgenden Beitrag einiger anonymer Militanter.
Liebe Genoss*innen, Freund*innen und Gefährt*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung (KGB) und darüber hinaus, wir* sind ein loser Zusammenhang von Aktivist*innen, der sich seit Mitte letzten Jahres mit der Frage auseinandersetzt, ob und wie es an der Zeit ist für mehr Militanz in der radikalen Linken und speziell in der KGB. Diese Debatte um Militanz, friedliche Sabotage oder ZU+ ist seitdem schon voll im Gange – nice! Wir wollen an der Stelle gerne unsere* Gedanken dazu mit euch teilen und die ein oder andere unschlüssige Person davon überzeugen, dass wir als KGB weiter gehen sollten. Um mit unseren Aktionen den sich zuspitzenden Verhältnissen durch die (Klima-)Krise gerecht zu werden, sehen wir* es als einen von mehreren relevanten Punkten, die Aktionsformen zu verändern. Wir brauchen mehr Militanz, um in einen gesellschaftlichen Klima-Diskurs mit einer radikalen Perspektive intervenieren zu können, um zum Investitionsrisiko der Konzerne zu werden, um ein revolutionäres Bewusstsein zu stärken, um den Slogan »Den Wandel selbst in die Hand nehmen« zur tatsächlichen Praxis zu machen und letztendlich, um die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu überwinden. Hierbei konzentrieren wir* uns, aufgrund unserer eigenen politischen Arbeit, vor allem auf den Teil der KGB, der in zivilem Ungehorsam (ZU) ihre dominante Handlungsform gefunden hat.
ZU in Form von Bagger- und Schienenbesetzungen hatte u*Mn vor einigen Jahren durchaus einen antagonistischen Charakter, den wir* als einen wesentlichen Bestandteil einer militanten Handlung sehen. Allerdings haben die Aktionen des zivilen Ungehorsams rund um die Braunkohlegebiete diesen Charakter verloren. U*Mn stellen sie, in ihrer gegenwärtigen Form, mehr ein eingehegtes, von allen Seiten berechenbares Schauspiel dar, anstatt einer Systemlogik entgegen zu stehen. Dennoch sehen wir* in der Gruppe an Menschen, die sich dem politischen Kampf für Klimagerechtigkeit verschrieben haben, das Potential einen Schritt weiter in Richtung Militanz zu gehen.
Einerseits, um für uns* selber eine bessere Vorstellung davon zu haben, was wir eigentlich unter Militanz und militanten Handlungen verstehen, aber natürlich auch, um dieses Verständnis in die Bewegung zu tragen, haben wir eine Militanz-Definition aufgestellt.
1. Motivation hinter militanten Handlungen
Unserem* Verständnis nach ist Militanz ein Mittel, welches nur im Kampf für eine radikal emanzipatorische Gesellschaft Anwendung finden sollte. Eine politische Handlung ist für uns* immer dann militant, wenn sie sich antagonistisch zur bestehenden Ordnung verhält. Militante Aktionen versuchen die herrschende Logik aufzubrechen und lassen sich von dieser nicht einhegen. Bei all dem ist es notwendig, die Bedingungen für militantes Handeln als dynamisch zu verstehen. Eine ständige Reflexion der bestehenden Verhältnisse und eine hierauf aufbauende Anpassung der Aktionsform ist notwendig. Die Militanz ist demnach ein Mittel zur Erreichung eines radikal emanzipatorischen Lebens.
2. Aktionistische Ebene von militanten Handlungen
Auf der aktionistischen Ebene bedeutet militantes Handeln die Erzeugung eines nachhaltigen Schadens – also eines Schadens, der über die physische Anwesenheit der Aktivist*innen hinaus bestehen bleibt. Dieser Schaden kann finanziell sein, aber beispielsweise auch...
Patriarchale Gewalt als geteilte Erfahrung?
Mit dem Ziel keinen Femi(ni)zid mehr unbeantwortet zu lassen, begann die feministische Bewegung »Claim the Space« in Wien ihre Politisierungsarbeit. Seit zwei Jahren treffen sie sich nach jedem Femi(ni)zid am ehemaligen Karlsplatz zu einer Kundgebung oder Demonstration. Für das Interview sprachen wir mit Frana von der AG Feministischer Streik.
Wie kam es dazu, dass ihr in Wien mit der Politisierung von Femi(ni)ziden begonnen habt? Gab es einen Auslöser?
In der österreichischen Linken waren Femi(ni)zide das erste Mal Anfang 2019 mehr Thema. Damals gab es eine Reihe Femi(ni)zide, die medial eine große Aufmerksamkeit bekommen haben. Zu dem Zeitpunkt war es vor allem die Identitäre Bewegung, die die Morde bei einem Gedenkmarsch in Wien aufgegriffen und rassistisch instrumentalisiert haben. Und auch konservative Politiker*innen ließen im Zuge dieser Debatte häufig verlautbaren, das Patriarchat sei importiert und Frauenmorde seien kein österreichisches Problem. Dieses Narrativ kennen wir alle, für uns war es damals aber das erste Mal seit der Kölner Silvesternacht 2015, dass sexualisierte Gewalt auf eine dermaßen rassistische Weise diskutiert wurde. Damals gab es den ersten Versuch von autonomen Feminist\innen, das Thema öffentlich aufzugreifen. Als wir 2020 erneut begannen zu Femi(ni)ziden zu arbeiten, stand am Anfang aber vielmehr der Fokus auf die Zusammenarbeit mit Ni Una Menos Austria und lateinamerikanischen Gruppen. Da ging es darum, ein globales Phänomen zu beschreiben, das wir auch hier in Österreich verstehen wollten.
In welchen Situationen geschehen Femi(ni)zide? Was sind die strukturellen Bedingungen einer solchen Form der Gewaltausübungen gegenüber FLINTA (Frauen, Lesben, intersexuelle, nonbinäre, trans sowie agender-Personen: Anm. d. Redaktion)?
Natürlich gibt es viele Gründe dafür, dass Femi(ni)zide verübt werden. Auch wenn es eine wachsende wissenschaftliche und juridische Auseinandersetzung mit dem Thema gibt, bleiben die Taten trotzdem meist recht individualisiert und die Täter*innen werden oft pathologisiert. Dass Femi(ni)zide mehr als nur Frauen betrifft, kommt nicht einmal im bürgerlichen Feuilleton an. Die strukturelle Komponente - also die Frage danach in welchen Abhängigkeiten FLINTA im Kapitalismus stecken - versuchen wir mit unseren Aktionen zu politisieren.
Ein erster Schritt ist für uns dabei überhaupt erstmal zu verstehen, wie verschiedene Femi(ni)zide zusammenhängen und welche Strukturen dabei jeweils wirken. Mit jedem Femi(ni)zid werden neue Fragen aufgeworfen. Es ist weniger so, dass wir die Kritik schon immer im Vorhinein haben und sie dann auf die Straße tragen, sondern wir müssen jedes Mal neu überlegen, was überhaupt die geschlechtsspezifische Komponente der Gewalt ist oder wie man den Fall politisieren kann und wie man möglichst viele patriarchale Gewaltformen miteinbeziehen kann, ohne dass es total losgelöst von den jeweiligen Subjektpositionen ist.
Gibt es Elemente und Motive, die ihr in den meisten Fällen wiederfindet? Und an welchen Punkten wart ihr überrascht und habt eure Analyse noch einmal verändern müssen?
Ausgangspunkt unserer Analysen ist eine feministische Kapitalismuskritik: Das bedeutet die Sphärentrennung in 'privat' und 'öffentlich' infrage zu stellen und Arbeitsbedingungen und Abhängigkeiten zu thematisieren. Ein Großteil der Gewalt an FLINTA geschieht im Privaten. Die bürgerliche Familie, die oft als rein und harmonisch imaginiert wird, stellt für sie den gefährlichsten Ort dar. In Österreich gibt es eine massive Verherrlichung der Kleinfamilie,...
Männlichkeit, Patriarchat & Krieg
Krieg ist patriarchal, jener in der Ukraine und die andernorts. Krieg funktioniert entlang klarer geschlechtlicher Rollenbilder und die mediale Berichterstattung tut ihr Bestes, alles fern des kämpfenden Mannes* und der flüchtenden FLINTA*-Personen unsichtbar zu machen. Und Das folgende »Kommuniqué No. 3« wurde nach anregenden Gesprächen unter Genoss*innen aus dem Rheinmetall-Entwaffnen-Bündnis verfasst.
Wenn wir von FLINTA*-Personen sprechen, sprechen wir von Frauen, Lesben, inter*-, nichtbinären*, trans* und agender* Personen.
Dieser Krieg ist kein Ort für Emanzipation und Befreiung. Längst überwunden geglaubte Ideologien betreten wieder die gesellschaftliche Bühne. In den Bildern, der Sprache und der Politik feiert die Militarisierung fröhliche Urständ. Dieser Krieg ist ein Ort des patriarchalen Rollbacks, insbesondere im kapitalistischen Gesellschaftssystem, in dem wir leben.
Die Fotoaufnahmen vom reitenden bzw. fischenden Putin mit nacktem Oberkörper dienen den Medien schon länger als willkommene Darstellung des russischen Staatschefs. Auch Selenskyj weiß als Schauspieler, wie er sich im olivgrünen Hemd bzw. mit schusssicherer Weste vor Kameras inszenieren kann. Bei allen Unterschieden dieser beiden: Hierbei geben sich die zwei Kriegsherren, der Angreifer und der Angegriffene, nichts. Sie spielen den männlichen Helden und werden gerne als solcher gesehen. Hinter den Bildern dieser beiden stellvertretenden Figuren verschwinden die Interessen und Ursachen der imperialistischen Kriege, über die wir hier schreiben.
Die Sprache des Krieges und der Krieg der WorteAuch in ihrer Rhetorik gleichen sie sich. Putin und Selenskyj sprechen von »Tapferkeit« und »Heldentum«, von »hartem Kampf« und »ewigem Ruhm«. Mit ihrer kriegsverherrlichenden Sprache propagieren sie entgrenzte Gewalt und sowohl das Töten als auch das »Sterben fürs Vaterland«. Vor dem Hintergrund dieser fortschreitenden verbalen Eskalation können Friedensverhandlungen und Diplomatie – selbst auf dieser Ebene sind fast ausschließlich Männer beteiligt – nicht gelingen. Absurderweise setzen sich ausgerechnet Diktatoren und Kriegsherren wie Erdogan als Friedensvermittler in Szene, während dieser gleichzeitig die jesidische und kurdische Bevölkerung in Rojava und im Nordirak bombardiert. Denn imperialistische, militaristische Politik ist und bleibt patriarchal, egal ob sie von Frauen oder Männern gemacht wird. Eine neue Qualität und Quantität der Kriegsrhetorik kennen wir auch von bundesdeutschen Politiker*innen, hierzulande hat sich die Sprache ebenfalls innerhalb weniger Tage militarisiert.
Dieses Vokabular wird von Medien und Gesellschaft aufgegriffen. In den Kommentarspalten und in Sozialen Medien werden Selenskyj und Putin abwechselnd als »Freiheitsheld« gefeiert oder als »Schlappschwanz« beschimpft. Bestimmte Ideale von Männlichkeit werden damit extrem verstärkt und positiv besetzt. So wird das Soldaten- und Heldentum gesellschaftlich akzeptabler und patriarchale Strukturen gefestigt.
Antiquierte Geschlechterrollen werden reproduziert und zementiertAber es geht über die Bilder und die Sprache hinaus: Als Handelnde werden im Krieg meist Männer wahrgenommen. Frauen bekommen andere Rollen zugeschrieben; als Opfer von Gewalt, von Vergewaltigung und Vertreibung. LGBTQ*s sind nahezu unsichtbar. Wir erleben absolute Heteronormativität, die Zuweisung klassischer Frauenrollen und die selektive gesellschaftliche Beteiligung von Frauen nach patriarchalen Kriterien. Die Reproduktionsarbeit und Auswirkungen des Krieges haben auf allen Seiten vor allem Frauen zu tragen. Die Ukrainerinnen müssen die Kinder an sich nehmen und können bzw. sollen zum eigenen Schutz das Land verlassen. Die Männer bringen sie noch an die Grenze, um dann in den Krieg zu ziehen. Sie müssen...
Der Sieg der New Yorker Amazon-Arbeiter*innen
»Danke an Jeff Bezos - während er ins All geflogen ist, haben wir hier eine Gewerkschaft organisiert“. Mit diesen Worten feierte Organizer Chris Smalls die erste Gründung einer Amazon-Gewerkschaft in den USA. Welche Methoden der Basisorganisierung stehen hinter diesem sensationellen Erfolg der Amazon-Arbeiter*innen? Das beleuchten Luis Feliz Leon und Justine Medina.
Der Text ist im Original bereits am 01. April 2022 bei Labornotes erschienen. Wir haben uns entschlossen, ihn zu übersetzen, da das Wissen um Basisorganisierung wichtig für den Aufbau linker Gegenmacht auch hier bei uns ist.
Teil 1: Amazon-Arbeiter*innen auf Staten Island erringen historischen Sieg Luis Feliz Leon
Es klingt vielleicht ein bisschen wie im Märchen: Gestern wurde das unglaubliche wahr gemacht, als die zusammengewürfelte Truppe von Arbeiter*innen der Amazon Labor Union (ALU) bei einer Gewerkschaftswahl in einem Lagerhaus in Staten Island, New York, die Spitze übernahm und damit ein historischer Sieg gegen den Unternehmensriesen in Reichweite rückte.
Vor der Auszählung wurde die unabhängige Gewerkschaft in der Presse als Kuriosität behandelt und ihre Chancen komplett abgeschrieben. »Ich glaube wir wurden übersehen,« sagte die Schatzmeisterin der ALU, Madeline Wessley am Donnerstagabend. »Und ich glaube das endet morgen — mit unserem Sieg.«
Die ALU hat heute einen entscheidenden Sieg — mit großem Vorsprung — errungen und damit die erste gewerkschaftlich organisierte Arbeitsstätte im Amazon-Imperium der USA geschaffen. Die Zweigstätten von Amazon befinden sich vor allem in Metropolregionen wie New York, Chicago und Los Angeles — und das öffnet Tür und Tor für die weitere Organisierung der Arbeiter*innen.
Die Wahl ergab 2.654 Stimmen für die Gründung einer Gewerkschaft und 2.131 Stimmen dagegen. 8.325 Arbeiter*innen waren wahlberechtigt, 17 Stimmen waren ungültig. »Wir möchten Jeff Bezos dafür danken, dass er ins All geflogen ist. Während er da oben war, haben wir eine Gewerkschaft gegründet,« sagte der Präsident der ALU, Chris Smalls, nachdem die offiziellen Ergebnisse verkündet wurden. Ein weiteres Lagerhaus im selben Fabrikkomplex wird am 25. April zur Wahl stellen, sich mit der ALU gewerkschaftlich zu verbünden.
Die Anführer*innen rauspicken
Als am Donnerstagabend die ersten sechs der zehn Wahlurnen bereits ausgezählt waren, konnten sich die Arbeiter*innen vor lauter Aufregung und Unglauben kaum halten, es wurde gelacht und zu Hip Hop getanzt. »Es hat sich unwahrscheinlich angefühlt,« sagte der ALU-Vizepräsident Derrick Palmer, der vor der Lagerhalle stand und jedes Wort dabei betonte. »Aber wir haben es einfach gemacht, wir Arbeiter*innen, wir haben uns gegen das zweitgrößte Privatunternehmen des Landes organisiert.«
Je mehr Palmer die Details darüber ausbreitete, was genau die Gewerkschaft unternommen hatte, um diese beeindruckende Aufgabe zu bewältigen, desto mehr wurde klar, dass beim Sieg der Gewerkschaft weder Zauberei noch Glück im Spiel waren: Es war kleinteiligste Basisorganisierung von Arbeiter*in zu Arbeiter*in, die das Ergebnis erzielte. Palmer ist bereits seit drei Jahren in dem weitläufigen Warenhaus-Komplex beschäftigt und glaubt, dass 70% seiner direkten Kolleg*innen überzeugt mit Ja gestimmt haben. »Ich hab quasi meine gesamte Ableitung bekehrt,« sagte er. »Ich schau mir dann so eine Gruppe an Freund*innen an und such mir dann deren Anführer*in raus. Was auch immer der*die dann sagt, wird die Gruppe...
Was geht eigentlich ab in Russland?
Enteignet die russische Oligarchie!? Ja, sagt Dietmar in diesem Artikel, in dem er uns an seinen Beobachtungen und Analysen der Situation in Russland seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine teilhaben lässt.
Einige Bemerkungen vorab: Dieser Beitrag wurde noch bevor die Massaker in Butscha und den Vororten von Kiew bekannt wurden, fertiggestellt. Er ist also nicht als Reaktion darauf entstanden und ich halte es für notwendig den*die Leser*in vorab darauf hinzuweisen, auch wenn ich versucht habe, ihn entsprechend zu ergänzen.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat nicht nur bürgerliche Politiker*innen und Analyst*innen überrascht, sondern fordert auch viele Selbstverständnisse der Linken heraus. In Stellungnahmen linker Gruppen ist häufig von »imperialistischer Konkurrenz« und »Kapitalinteressen« die Rede, doch wirken solche Erklärungen angesichts der einseitigen Eskalation von russischer Seite wenig aussagekräftig und eher wie Selbstversicherungen der eigenen Positionen und Weltbilder. Linke aus Osteuropa wiederum beklagen, dass in den Analysen ihrer westlichen Genoss*innen meist nur die NATO-Länder als treibende Akteur*innen auftauchen, Osteuropa darin hingegen ohne eigene politische Subjektivität erscheine. Ich denke, das liegt auch an einer großen Unwissenheit über den postsowjetischen Raum. Dieser Text versucht daher, diese Lücke ein wenig zu schließen. Er geht der Frage nach, welche gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse den postsowjetischen Raum, insbesondere Russland, bestimmen und welche Eigendynamiken und Widersprüche sich ausmachen lassen. Es handelt sich jedoch nicht um eine konsistente Analyse. Ich selbst habe mich ebenfalls erst nach Ausbruch des Krieges intensiver mit der Thematik befasst und kann daher nur einige vorläufige Überlegungen präsentieren. Ich halte es jedoch für notwendig, sich genauer mit diesen Fragen zu beschäftigen, um unsere strategische Bestimmung auf einer solideren Grundlage treffen zu können. Ich hoffe daher, dass mein Beitrag zu einer weiteren Diskussion und Beschäftigung anregt, Kritik und Widerspruch eingeschlossen.
Russland – eine semiperiphere GroßmachtRussland kann als semiperiphere Großmacht innerhalb des kapitalistischen Weltsystems bezeichnet werden. Die Situierung in der Semiperipherie kann darauf zurückgeführt werden, dass Russland ökonomisch gegenüber den Staaten des kapitalistischen Zentrums (USA, EU, Japan, bald wohl auch China) als Rohstofflieferant von vor allem Öl und Erdgas für deren Industrie und als Absatzmarkt für deren – insbesondere deutsche - Fertigprodukte fungiert. Auf der anderen Seite befindet sich Russland in einer hegemonialen Position gegenüber seiner eigenen Peripherie, vor allem den Ländern des postsowjetischen Raumes. Der einzige relevante Export von Fertigprodukten aus Russland geht in diese Länder. Außerdem bestehen enge Verflechtungen mit den dort herrschenden Eliten. Zugleich verfügt Russland über ein beachtliches Arsenal an Nuklearwaffen und über eine im Vergleich zu seiner ökonomischen Basis überproportionale Militärmacht, die ihm zusammen mit seiner hegemonialen Position im postsowjetischen Raum die Ausübung einer geopolitischen Großmachtrolle erlaubt.
Von »Soft Power« und »Hard Power«Die eigene Hegemonie beginnt seit Anfang der 2000er Jahre zu bröckeln, wie in den diversen Farbenrevolutionen im postsowjetischen Raum deutlich wurde, bei denen prowestliche Eliten jene russlandorientierten von der Macht verdrängten. Die eigene »Soft Power«, die im Wesentlichen in der Beschwörung kultureller Gemeinsamkeiten und einem Schuss Sowjetnostalgie besteht, erweist sich als unzureichend angesichts großer sozialer Ungleichheiten und autoritärer Staatlichkeit. Diese versucht Russland zunehmend...
Existieren verboten
Die sogenannten LGBT-freien Zonen sind mittlerweile in Polen zur Wirklichkeit geworden. Tausende von queeren Menschen wohnen in Städten und Gemeinden, wo ihre bloße Existenz sie in Gefahr bringt. Dem zugrunde liegt ein ideologischer Machtkampf um »erwünschtes« Leben, den Politik und Kirche zu gewinnen scheinen, argumentiert Magdo in diesem Debattenbeitrag.
In Polen sind faschistische Politiker in weißen Hemden schon ganz oben. Die Mitglieder rechtspopulistischer Parteien wie Recht und Gerechtigkeit (PiS – Prawo i Sprawiedliwość) und Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja Wolność i Niepodległość) machen keinen Hehl daraus, dass ihre Ansichten von Nazi-Denkern geprägt wurden. Und die populistische Regierung kokettiert nicht nur mit ihnen – es sind bereits Menschen an der Macht, die rechtsextreme Ideologie in den politischen Mainstream einführen und damit unter anderem Queermisia (1) und Transmisia (2) in der Gesellschaft aktiv vorantreiben.
Rechtsextreme Aktivist*innen wie Kaja Godek stellen sich vor Kirchen und sammeln Unterschriften, Projekte wie «Stopp LGBT» und «Ja zu Familie; Nein zu Gender» gewinnen an Zuspruch. Ihre Rhetorik basiert auf der Prämisse, dass «Genderideologie», Bi- und Homosexualität sowie Transidentitäten, Atheismus und Sexualerziehung nicht natürlich seien, weil sie «traditionellen polnischen Idealen» widersprechen.
Die «LGBT-Ideologie», wie sie es nennen, wird dabei als die Quelle allen Übels heraufbeschworen: «Haltet das von unseren Kindern fern. Kein Gender in den Schulen.» (Als nicht-binäre Person stimme ich letzterem allerdings zu. Lasst uns aufhören, Kinder nach Geschlecht zu kategorisieren.) Alles, was queer ist, stammt zwangsläufig aus dem Westen, zielt auf die Zerstörung der traditionellen Familien ab und leugnet die göttliche Ordnung der Dinge. Interessanterweise scheinen jene patriotischen Fanatiker*innen zu vergessen, dass auch der Katholizismus einst aus dem Westen kam und heidnische slawische Glaubensvorstellungen überschrieb. Kulturen, die nicht-heteronormative, inhärent queere Gottheiten feierten, die später zu christlichen Heiligen umgestaltet wurden.
Dieses eine Wort, das die Far-Right-Anhänger*innen zu triggern scheint – Ideologie – wird dabei de facto gleichgesetzt mit queeren Personen. Als ob Identität eine Wahl oder Sekte wäre, der man beliebig bei- und austreten könnte. Geschickt nutzt der Begriff der «LGBT-ideologiefreien Zonen» auch die aktuelle Gesetzeslage aus: Ende Juni 2019 entschied das Verfassungsgericht, dass Glaubens- und Gewissensprinzipien als Grund für die Verweigerung eines Dienstes ausreichen. Die Konservativen haben das Urteil laut gefeiert. Die Zeitung Gazeta Polska hat sogar Sticker mit durchgestrichener Regenbogenfahne verbreitet. Manche Unternehmer*innen haben sie in ihren Einrichtungen aufgeklebt. Die Ähnlichkeit mit «Nur für Deutsche» ist unheimlich.
Queersein in Polen
Was bedeutet all dies für queere Personen in Polen? Ich selbst musste Polen verlassen, um meine eigene Identität zu entdecken und vor allem zu akzeptieren. Meine polnischen Freund*innen in Berlin sind Personen, die sich in Polen nicht sicher fühlen. Die, die noch in Polen wohnen, versuchen, ein besseres Leben in den Großstädten zu finden. Im Kollektiv versuchen wir, mit Aktivist*innen vor Ort in Kontakt zu bleiben und konnten so z.B. Morning-After-Pillen aus Deutschland nach Polen bringen.
Wir alle haben queere Freund*innen und Familienmitglieder, die jeden Tag Angst haben, auf die Straße zu gehen. Sich zu outen ist für viele lebensbedrohlich. Sichtbar queere Menschen werden angestarrt und angegriffen, Bildungsarbeit und Aufklärung sind kaum vorhanden.Wir können in...
Von Bildsprache, Diskursintervention und antifaschistischen Klimakämpfen
Bereits im Sommer 2021 hat Ende Gelände mit zwei parallelen Aktionswochenenden in Hamburg und Brunsbüttel erstmals die Energiequelle Gas als Klimakiller in den Fokus gerückt. Zudem sollten koloniale Dimensionen sichtbarer als je zuvor gemacht werden. Dieser Bericht blickt unter anderem zurück auf geglückte Störungen, ausbaufähige Realpolitik und die Rolle der Bildsprache.
1. RückblickIm letzten Sommer haben wir mit Ende Gelände viel Neues gewagt: Das geplante LNG-Terminal (LNG = Flüssigerdgas) in Brunsbüttel als neues Hauptaktionsziel in einer uns unbekannten Region, Gas als neuer thematischer Fokus und eine noch stärkere internationale Einbettung der Aktion. Dazu kam der Anspruch, antikoloniale und antirassistische Kämpfe sichtbarer zu machen und der Versuch, noch stärker Barrieren im Klimagerechtigkeitsaktivismus abzubauen. In Brunsbüttel kamen dafür ca. 2.000 und in Hamburg einige Hundert Aktivist*innen zusammen.
Nachdem am Freitag eine Soli-Aktion auf dem Camp in Solidarität mit den Kämpfen weltweit und mit der uns besuchenden Delegation stattfand, verließen die Finger am Samstagmorgen kraftvoll das Camp, überquerten teilweise mit Fähren den Nord-Ostsee-Kanal und besetzten erste Schienen. Am Nachmittag wurde von einer Kleingruppe der Nord-Ostsee Kanal für Stunden blockiert, während manche Finger noch versuchten, ihre Aktionsziele zu erreichen, oder weiterhin Schienen bis in die Morgenstunden des Sonntags besetzt hielten. In Hamburg gab es Raum für BIPoC Vernetzung und eine kraftvolle Sponti, nachdem die ZU Aktion leider nicht wie geplant stattfinden konnte. Letzteres hat, in unserer Wahrnehmung, bei vielen Menschen Fragezeichen und Diskussionsbedarf hinterlassen. Zu den Ursachen sowie Schlussfolgerungen wurde und wird innerhalb der Bewegung noch viel diskutiert. Wir können zu diesem Zeitpunkt keine »Auswertung« dazu machen – wir werden aber auf jeden Fall weiterhin, einzeln und strukturell als Bewegung, unsere Rassismen reflektieren und abbauen.
2. AuswertungIm Rahmen unseres Auswertungsprozesses in Hinblick auf die politische Wirksamkeit der Aktion haben sich vor allem drei Schwerpunkt-Themen aufgetan, die wir nachfolgend mit euch teilen wollen. Erstens, das Spannungsfeld zwischen symbolischen Blockaden und Blockaden, die tatsächlich den Ausstoß von CO2 verringern oder zumindest finanziellen Schaden bei fossilen Unternehmen anrichten. Letztere bezeichnen wir nachfolgend als effektive oder wirksame Blockaden. Zweitens, unser Verhältnis zu Staat und Repressionsorganen. Und drittens, die Zielsetzung und der Erfolg der Diskursintervention.
Symbolische vs. effektive BlockadeVon Aktivist*innen wurde in Bezug auf Wirksamkeit und Empowerment in der Aktion Unterschiedliches berichtet. Manche waren den ganzen Tag lang unterwegs, ohne an ein Aktionsziel zu kommen und sind dennoch sehr ermutigt aus den Aktionen gegangen. Andere haben gefühlt den ganzen Tag lang pleniert und waren sich unsicher, wie das konkret zu einer Änderung der herrschenden Zustände beigetragen hat. Wieder andere sind relativ fix an ihr Aktionsziel gekommen, haben aber nicht verstanden, warum dieses Ziel angesteuert wurde und ob wirklich effektiv Betriebsabläufe durch die Blockade gestört werden und der fossile Kapitalismus somit am kontinuierlichen »weiter so« gehindert wird. So überwog am Ende doch der Eindruck, dass die Aktion zumindest nicht so empowernd war wie frühere EG Aktionen, bzw. das Gefühl der Wirkmächtigkeit der eigenen Handlungen nicht so ausgeprägt war.
Bereits im Vorfeld der Aktion war klar, dass die Bildsprache einer Kohlegrube inklusive monströser Bagger deutlich eindrucksvoller ist als...
Die Distanz zwischen Identität und Solidarität
Berena, Vincent und Peter sprechen über Nähe und Distanz, über Identitätspolitik und migrantisch situiertes Wissen, über gemeinsame Kämpfe um Befreiung und globale Solidarität in Zeiten der Pandemie.
Dieses Gespräch steht im Kontext der Pandemie. Gleich zu ihrem Beginn hat Rassismus auf viele Weisen sein Gesicht gezeigt: der rassistische Anschlag in Hanau, wenig später der Mord an George Floyd durch Polizisten in Minnesota. Feldarbeiter:innen wurden eingeflogen, während Moria in Flammen stand und Menschen dort schutzlos der Pandemie und allen anderen widrigen Bedingungen des Grenzregimes ausgeliefert waren. Während die Regierungen hierzulande versuchten, das Virus durch Grenzen und Bullen zu kontrollieren, liegt es auf der Hand, dass es ohne eine Patentfreigabe und ohne die Möglichkeit zur Impfung überall nicht gelingen wird, mit der Pandemie umzugehen.
Vincent: Einen Tag nach dem Anschlag in Hanau haben sich Angehörige, solidarische Zivilgesellschaft und Aktivist*innen in Hanau versammelt. Ich bin mit zwei Bandkollegen am 20. Februar zu der ersten Kundgebung gefahren und war überrascht, wie viele Menschen ich vor Ort kannte. Wir lagen uns in den Armen, trösteten uns, standen einander bei - ich wurde von meinen Freund*innen gut aufgefangen. Aber was ich gesehen habe, war eine seltsame Mischung: Auf dem Podium sprach ein Politiker von einer wehrhaften Mitte der Gesellschaft und neben nationalistischen türkischen Symbolen wurden MLPD-Fahnen, wie immer schön dezentral, geschwenkt. Irgendwo wurde noch ein mutloser linker Spruch gejohlt. Sowas wie »Kapital, Staat, Scheiße!«“ oder »Hass, Hass, Hass wie noch nie!«.
Berena: In der iL haben viele BiPoC beschrieben, dass sie sich links und rechts umgeschaut haben, aber keinen emotionalen Resonanzraum hatten. Sie haben sich allein gefühlt und sind wütend. Dass deutsche Aktivist*innen ihre Gefühle oft außerhalb des Plenumraums lassen, was sich dann auch in der Politik äußert, die sie machen, mag dazu beigetragen haben. Aber ich glaube, dass der gesellschaftliche Rassismus nach wie vor tief sitzt, auch bei Linken. Bei mir entsteht oft das Gefühl, dass es am 19.2. einen Anschlag auf "die Anderen" gab. Kanax und Shishasbars sind oft immer noch fremd. Für viele Kanax und BiPoC ist das anders. Wir denken: »Es hätte auch mich treffen können, meine Freund*innen, meine Kinder...«. Ich glaube, dass dieser Anschlag auch von Menschen, die keine Rassismuserfahrungen machen, als etwas sehr Nahes erlebt werden kann, aber Rassismen und unterschiedliche Vorstellungen von Solidarität zu dieser Distanz führen. Während ein bestimmtes Spektrum der antirassistischen Landschaft direkt vor Ort war, waren es andere Teile der radikalen und organisierten Linken nicht. Während die einen sehr nah mit Betroffenen Politik machen und Freundschaften entstehen, arbeiten andere an ihnen vorbei und bleiben in ihrer Bubble.
Vincent: Aber ich wurde auch positiv überrascht: Es gab ein enormes mediales Interesse an dem Ereignis, anders als es mit dem NSU der Fall war. Während damals rassistisch von »Dönermorden« geschrieben worden war, hatte ich den Eindruck, dass bei Hanau die Perspektive der Betroffenen häufiger im Zentrum stand. Das ist eine Errungenschaft migrantischer Communities und von Antirassist*innen, die immer wieder für Öffentlichkeit, Erinnerung und Gedenken hinsichtlich rassistischer und rechter Gewalt gekämpft haben. Beispielsweise die Inititative 19. Februar und die...
Ein historisches Unterfangen.
Im letzten Jahr sind Delegationen der Zapatistas durch Europa gereist und haben hiesige Kämpfe und Kämpfende besucht und kennengelernt. Von den lehrreichen Prozessen im Vorfeld, den wertschätzenden Begegnungen währenddessen und den Einsichten im Nachhinein berichtet die InterSol AG der iL, die mit an der Umsetzung der Reise beteiligt war.
Die IdeeEs scheint eine Ewigkeit her, und doch sind seitdem nicht einmal anderthalb Jahre vergangen. Im Oktober 2020 kündigte die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) an, im darauf folgenden Jahr den europäischen Kontinent bereisen und die hiesigen Kämpfe und Kämpfenden kennenlernen zu wollen. In einem tatsächlich internationalistischen Akt wollten sie Perspektiven für den eigenen Kampf suchen und auftun. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt. Ein halbes Jahrtausend zuvor wurde, der Geschichtsschreibung der Herrschenden zufolge, das uns heute bekannte Mexiko erobert. Das Jahr 1521 markiert Kolonialisierung und Tod, aber auch Widerstand und Überleben. Diesem Ereignis sollte nun antagonistisch ein Zeichen für das Leben entgegen gesetzt werden, indem einige hundert indigene Delegierte aus Chiapas entsandt werden sollten, um ein Europa von links unten kennen zu lernen. Ihr Vorhaben betitelten die Zapatistas daher auch als »Reise für das Leben«. In dem Aufruf wurden unterstützende Gruppen gesucht, die verbindlich einladen, organisieren und und die Reise begleiten sollten. Die Zapatistas trafen keine Vorauswahl, wer einladen durfte, die Vorgaben über die Inhalte für die Zusammentreffen waren sehr vage, erst recht die Dauer und die technischen Details der Reise. Die EZLN hat sich selbst eingeladen, und die europäische Linke sollte sich dafür eigenständig organisieren. So ein Projekt ist ungewöhnlich und wurde zur Herausforderung, wie sich zeigen wird.
Zunächst sagten immer mehr linke und emanzipatorische Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen überall in Europa zu. Lokale, regionale sowie überregionale Koordinationskreise entstanden daraufhin und arbeiteten über Monate mehr oder wenig regelmäßig für die Vorbereitung des Zwischenstopps in der eigenen Region. Darüber hinaus gab es eine bundesweite Vernetzung, die sich regelmäßig überwiegend online traf. Das Resultat war ein mitunter sehr chaotischer Ablauf in den unterschiedlichen lokalen Vorbereitungskreisen. Dies war die Folge von nicht getroffenen Absprachen, wie Kommunikation und Entscheidungsfindung in der Zeit des Aufenthaltes der Zapatisten stattfinden solle, aber sicherlich auch ein Ergebnis davon, sich eher unfreiwillig in dieser Akteur*innenzusammensetzung gefunden zu haben. In dieser Gemengelage übernahmen unterschiedliche lokale und bundesweite Strukturen Aufgaben und Verantwortung, darunter auch die interventionistische Linke.
Das große WartenDie Vorbereitung zog sich Mitte 2021 in die Länge. Der mexikanische Staat verweigerte im Zuge einer rassistischen Logik gegenüber seiner eigenen indigenen Bevölkerung die Ausreisedokumente, und Frankreich bediente sich der Pandemie, um eine Einreise zu verhindern. Über Wochen war nicht klar, wann die Reise mit wie vielen Compañer@s beginnen kann.
Ursprünglich war geplant, dass die Zapatistas am 13. August eine europaweite Demonstration in der spanischen Hauptstadt abhalten würden. An diesem Tag jährte sich ein Massaker im heutigen Mexiko-Stadt zum 500ten Mal. Dieser Termin war symbolträchtig und steht für den oben genannten Kolonialismus und den Widerstand dagegen. Statt der kompletten Delegation fand sich die siebenköpfige zapatistische Vorhut in Madrid ein, die Monate zuvor in einem Segelmanöver, das...