Sammlung von Newsfeeds
Gemeinsam gegen Staat und Repression
Die Aktionen und Proteste rund um die Urteilsverkündung im so genannten Antifa-Ost-Verfahren treten abermals Debatten rund um das Ausmaß polizeilicher und staatlicher Repression los. Darin die Visionen einer befreiten Gesellschaft zu markieren und vermittelbar zu machen, sollte nach Ansicht der Autor*innen zentral gesetzt werden.
Was ist passiert?Wir haben über mehrere Tage erlebt, dass die Behörden versucht haben, jede politische Meinungsäußerung auf der Straße rabiat zu verhindern. Angefangen mit der Demo in Leipzig am Tag der Urteilsverkündung, die am Platz der Auftaktkundgebung gekesselt und zerschlagen wurde. Weiter mit der Repression gegen die Demo »Tag der Jugend« am Weltkindertag, den 1. Juni 2023. Ebenso wurden beim Massencornern am Freitag, den 2. Juni 2023, Genoss*innen verhaftet. Samstag, am 3. Juni 2023, dann der 11-Stunden-Kessel, die langandauernde Schikane und eine vorbereitete Eskalation: Minderjährige Kinder wurden aus dem Kessel nicht zu ihren Eltern gelassen; Menschen, die medizinische Versorgung benötigten, mussten von Demosanitäter*innen im Kessel behandelt werden; der Zugang zu sanitären Anlagen wurde in Einzelfällen gewährt, jedoch war unklar, ob Menschen dafür direkt in die Gesa müssen. Hunderte Handys wurden eingesackt und Menschen, bei denen Wechselklamotten vermutet wurden, wurden aufgrund dessen in die Gesa gebracht, anstatt aus dem Kessel entlassen zu werden. Tags drauf ein weiterer Kessel und die Personalienfeststellung für den Gesa-Support und das Demoverbot für die angemeldete Versammlung gegen die Polizeigewalt der nächsten Tage.
Was sticht heraus?Dass der Staat nur selten eine Gelegenheit auslässt, Linke zu drangsalieren, überrascht uns nicht. Jedoch scheint das Vorgehen der Cops von langer Hand geplant worden zu sein. So wurde nicht nur in Leipzig die Demo am 4. Juni 2023 für Solidarität mit den Verurteilten von den Cops attackiert, auch in anderen Städten reagierten sie ähnlich. In Bremen beispielsweise sollte die Demo auf keinen Fall laufen. Wir betrachten das Agieren der Behörden auf der Straße als Ausläufer des Prozesses. Auch im Gerichtssaal sollte Stärke demonstriert und die antifaschistische Linke ruhiggestellt werden. Ebenso draußen. Und wir sehen, dass sich so viele Menschen bereits durch den aufgefahrenen Polizeiapparat aus Angst vor Polizeigewalt und Repression gar nicht erst auf die angemeldete Demonstration am Samstag getraut haben, geschweige denn eine Möglichkeit des Ausdrucks über den Gerichtsprozess und das Urteil finden konnten. Und die am Samstag, den 03.06. eingesetzte Repression wirkt, denn sie wird Menschen auch von der Teilnahme an zukünftigen Demonstrationen und Aktionen, die von einer erhöhten Repression betroffen sein mögen, abhalten.
Lasst uns dabei aber nicht vergessen: Trotz der Repressionsszenarien im Vorfeld, trotz der Größe des aufgefahrenen Polizeitaufgebots, trotz der Befürchtung, dass sich das »nicht lohnt«, sind so viele Menschen am Samstag auf die Straße gegangen, um ihrer Wut über das Urteil und über die Demoverbote Ausdruck zu verleihen. Und so viele der Eingekesselten sind auch am Montag wieder auf die Straße gegangen, um wiederum ihrer Wut gegenüber der erlebten Repression und Gewalt Ausdruck zu verleihen. Und so viele Genoss*innen haben im Hintergrund und im Nachgang Unterstützungsarbeit für die Eingekesselten und Inhaftierten geleistet und tun es noch. Lasst uns das nicht vergessen, denn das zeigt unsere Kraft und unser Zusammenhalten,...
Ist Rojava eine sozialistische Utopie?
Für die einen ist Rojava eine gelebte sozialistische Utopie, von anderen wird es als kurdisches Nationalprojekt abgetan. Dass diese Widersprüche Teil des revolutionären Prozesses sind und in die Geschichte der Selbstverwaltung Rojavas eingeschrieben sind, argumentiert Matt Broomfield in seinem Beitrag, der zuerst bei UnHeard erschienen ist.
Um einen Streit unter westlichen Linken zu entfachen, muss man nur das Wort »Rojava« erwähnen. Seit seiner Gründung vor einem Jahrzehnt hat das kurdisch geführte politische Projekt die Linke in zwei Lager gespalten. Auf der einen Seite wird die Region von ihren Befürworter*innen als egalitäre, ökologische und direktdemokratische Utopie gepriesen; auf der anderen Seite wird sie von ihren Gegner*innen als ethnisch segregierter, vom Öl abhängiger Kleinstaat abgetan, der nur dem kurdischen Nationalismus dient. Welche Seite liegt richtig?
Von 2018 bis 2020 habe ich drei Jahre lang in Rojava gelebt, der Region der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien. Dort habe ich fast jeden Tag eine andere Ansicht zu den Erfolgen der Revolution gehört. US-Militärs sahen die Selbstverwaltung als nützlichen Verbündeten gegen den IS und als Gegengewicht zum Einfluss des Iran. Kurd*innen, Frauen, christliche und jesidische Dorfbewohner*innen waren angesichts der ethnischen Säuberungen durch die Türkei und den IS pragmatisch dankbar dafür, dass Rojava die höchsten Standards in Bezug auf Menschenrechte und humanitäre Versorgung in ganz Syrien bietet.
Manche anarchistische Freiwillige verließen das Land jedoch enttäuscht, da ihre idealisierte Sicht auf die »Rojava-Revolution« mit der Realität der Massenarmut, des begrenzten politischen Engagements und eines immer stärker werdenden Sicherheitsapparats kollidierte. Viele andere blieben und akzeptierten die ideologischen »Widersprüche« als Teil des revolutionären Prozesses. In der Tat: In den Jahren seit 2013 ist klar geworden, dass die Revolution niemals hätte überleben können, wenn sie nicht eine Reihe von scheinbar widersprüchlichen Funktionen erfüllt hätte.
Aus den Bergen nach Rojava
Rojava erlangte Autonomie, nachdem sich die Kräfte des Regimes während des syrischen Aufstands 2011/12 aus dem kurdischen Norden des Landes zurückzogen. Infolgedessen konnten kurdische Kämpfer*innen, ihrem inhaftierten Anführer Abdullah Öcalan treu ergeben, aus den Gebirgsregionen, in denen sie lange Zeit einen erbitterten Guerillakrieg gegen die Türkei geführt hatten, nach Nordsyrien gelangen. Dort in den Bergen lebten die überzeugten Kader*innen ein notwendigerweise gemeinschaftliches und bescheidenes Leben. Kurd*innen, die Zeit »in den Bergen« verbracht haben, sprechen voller Nostalgie über die Genoss*innenschaft und die ganzheitliche Beziehung zur Natur, die sie dort erlebten. Doch diese politischen Aktivist*innen sahen sich nun nicht nur damit konfrontiert, den IS, den Al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra und die türkische Armee abzuwehren, sondern standen auch vor dem Aufbau einer Gesellschaft, die Millionen Menschen versorgen muss.
Diese lebenslangen Parteigänger für die kurdische Sache erfuhren eine geradezu überwältigende Rechtfertigung ihres Kampfes. Eine Frau mittleren Alters erzählte mir mit leuchtenden Augen, dass sie ihr ganzes Leben dem Kampf gegen die Türkei geopfert hat – 38 der 40 Genoss*innen ihrer ersten Ausbildungsgruppe starben in diesem Kampf. Und dann entstand unverhofft in Syrien die Gelegenheit, einen Teil der kurdischen Heimat befreien zu können. Unter vier Augen sprechen die kurdischen Militanten jedoch oft über ihre Frustration mit der widerstrebenden lokalen Bevölkerung, die sich nicht sonderlich für die hochtrabenden...
Die Erde brennt - wann brennt die OMV?
Vor Kurzem hat in Wien die European Gas Conference stattgefunden - und mit ihr kamen die Proteste in die Stadt. Dieser Artikel gibt einen Überblick über gelungene Aktionstage und fragt zugleich nach ihrer Wirksamkeit.
»Let's crash the fossil Champagne Party« hieß es in der Mobilisierung zu den Aktionstagen in Wien. Und um es vorwegzunehmen: Das hat funktioniert. Die OMV (Österreichische Mineralölverwaltung), ein Konzern der im letzten Jahr 5,1 Milliarden Euro Gewinn mit Klimazerstörung, Krieg und Teuerungen gemacht hat, lud dieses Jahr vom 27.-29. März zur European Gas Conference (EGC) nach Wien. Das Lobbytreffen fand im Mariott Hotel mit wichtigen Vertreter*innen aus der Öl und Gasbranche wie Shell, BP oder RWE statt. Während es um »Europas zukünftige Energieversorgung« ging - also: den Ausbau von Gasinfrastruktur oder Förderung von fossilem Gas auf der ganzen Welt, vor allem aber im globalen Süden -, waren Journalist*innen und die Öffentlichkeit von der Konferenz ausgeschlossen. Klimazerstörungspolitik im Hinterzimmer.
Massen an Menschen kamen aus ganz Europa nach Wien, um der EGC keine ruhige Minute zu lassen und in vielfältigen Aktionen gegen den Normalzustand von Energiepolitik, Versorgungsungerechtigkeit und (neo-)kolonialer, ausbeuterischer Energieproduktion zu protestieren. Der dreitägige Gegenkongress »Power to the People« beschäftigte sich unter anderem mit systemischen Krisen wie Klima-, Energie- und Krieg und damit, wie solidarische Energiesysteme der Zukunft aussehen können. Er war Ausgangspunkt für verschiedene Protestaktionen. Am Sonntag starteten die Aktionen zivilen Ungehorsams des »Block Gas«–Bündnisses mit einer Blockade des Privatjetterminals am Flughafen Wien. Montag machten zwei Aktionsfinger der Konferenz Stress, indem sie die Zufahrtstraßen zum Hotel dichtmachten. Am Dienstag blockierten zwei Finger erfolgreich die Ölraffinerie der OMV in Schwechat am Rande von Wien. Für knapp 10 Stunden war dort die Straße des Haupteingangs zu und die Güterzufahrt besetzt. Danach zogen über 7.000 Menschen mit einer Großdemonstration durch Wien, vorbei am Mariott Hotel. Es gab einen Bannerdrop am Rathaus Wien und am Abend störten eingeschleuste Aktivist*innen das Galadinner der EGC. In Deutschland gab es im Bezug auf die Proteste Besetzungen von Gaskraftwerken in Berlin, Jena und Erlangen.
Aber was bewirken Störungen?So kraftvoll unsere Aktionen auch waren, stellt sich doch wie immer die Frage nach der Wirksamkeit. Ist die Konferenz strategisch wirklich das beste Angriffsziel? Ist sie nicht ein Ort, an dem wir politisch wenig ausrichten können? Sollten wir nicht an Orte der Zerstörung gehen, an denen wir tatsächlichen Schaden anrichten können? Dann stellt sich die Frage: Was heißt es denn, tatsächlich zu schaden? Schaden wir einem Konzern schon, wenn der Betriebsablauf für einen Tag gestört wird, oder erst wenn tatsächliche Veränderung - und auf die muss natürlich auch diskursiv hingearbeitet werden - passiert?
Diese Fragen lassen sich nicht pauschal beantworten. Veranstaltungen wie die EGC sind darauf ausgelegt, ungestört tagen zu können und ihre Ergebnisse weitgehend unwidersprochen präsentieren zu können. Sie sind das Symbol dafür, wie unsere Gesellschaft funktioniert: wenige Konzernbosse und Politiker*innen entscheiden in Hinterzimmern über gesamtgesellschaftliche Belange, die Millionen von Menschen angehen und weitreichende Konsequenzen für uns alle haben. Wie in diesem Fall über die zukünftige Energieversorgung in Europa. Zehn Stunden lang saß ein Finger...
Ende Gelände - Ein Gruß aus der Zukunft
Ende Gelände hat als Bündnis nach über acht Jahren und zehn großen Massenaktionen entschieden, in 2023 keine bundesweite Massenaktion zu organisieren, um sich stattdessen auf die Suche nach Hebeln zu begeben, die unseren politischen Zielen treu bleiben. Wir wollen neue und vielfältigere Aktionsformen ausprobieren, uns dabei mit Verbündeten zusammentun und die Möglichkeiten für eine radikale Veränderung der Gesellschaft hin zu einer klimagerechten Welt erweitern. Mit diesem Text wollen wir unsere langfristige Vision und die politischen Argumente dafür teilen, um uns und unseren Freund* innen Mut zu machen, entschlossen und gemeinsam für einen radikalen Bruch mit dem kapitalistischen Normalzustand und den existenziellen Krisen zu kämpfen, die dieser Normalzustand verursacht. Dies ist der Versuch einer Skizze welche Wünsche und Visionen wir als Bewegung für die nächsten zwei Jahre haben, um dann im zweiten Teil die politische Notwendigkeit einer neuen antikapitalistischen Allianz darzulegen.
Ein mögliches 2025
Die Klimakrise spitzt sich immer weiter zu, und mit ihr haben sich auch weitere geopolitische Krisen verstärkt. Global ringen Nationalstaaten immer stärker und aggressiver um Macht und den Zugang zu immer knapper werdenden Ressourcen. Rechte Kräfte haben noch mehr Aufwind bekommen, militärische Aufrüstung und Abschottung ist das bestimmende Thema in Europa. Konservative Kräfte versuchen, auch noch das Letzte aus dem ausbeuterischen System herauszupressen, aber ihre breite Unterstützung fängt mehr und mehr an zu bröckeln.
Aber auch die Klimabewegung ist so stark wie schon lange nicht mehr und hat sich in den letzten Jahren noch offensichtlicher geteilt: in einen reformistischen Teil mit NGOs, Grüner Jugend und Teilen von FFF auf der einen und einen radikalen, emanzipatorischen Teil auf der anderen Seite. Während punktuell und strategisch Zusammenarbeit stattfindet, sind sie in der öffentlichen Sicht klar getrennt. Der radikale Teil hat sich 2023 angefangen, zu einer antikapitalistischen Allianz zusammen zu schließen, und hat so Strahlkraft und Vernetzung auch in andere linksradikale Kämpfe geschaffen. Bezogen auf den Kapitalismus ist der radikalen Klimagerechtigkeitsbewegung eine starke Diskursverschiebung gelungen. Für die gesamte Gesellschaft ist Kapitalismus nicht mehr zu trennen von Ausbeutung an Menschen und Umwelt, und auch die Reformierbarkeit des Systems wird offen in Frage gestellt. Für alle ist klar, dass eine klimagerechte Welt nur jenseits vom Kapitalismus umsetzbar ist. Die Gesellschaft weiß, dass sie sich zwischen der rechten Erzählung von menschenverachtender Ausbeutung und Abschottung und dem guten Leben für alle entscheiden muss.
Der kapitalistische Alltagsverstand, dass alles schon irgendwie weitergehen kann, ist zerstört, und die antikapitalistische Klimagerechtigkeitsbewegung wird nicht müde, genau an diesen Punkten zu intervenieren. Das passiert durch immer neue und größere Aktionen. Durch das Zusammenspiel der vielfältigen Aktionen und Aktionsformen einer antikapitalistischen Allianz und der inhaltlichen Verbindung zwischen den einzelnen Aktionen, ist es gelungen, die Systemfrage immer stärker in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Diskurse zu stellen. Auch in Arbeitskämpfen und in Streiks hat die Systemfrage eine zentrale Rolle eingenommen. Dadurch werden radikale Transformationsmöglichkeiten, mit dem Ziel einer Überwindung der kapitalistischen Katastrophe hin zu einer gerechten Gesellschaft, in weiten Teilen der Gesellschaft diskutiert und zunehmend ausprobiert.
Geschafft hat die Klimabewegung das zum einen durch ein gemeinsames starkes Auftreten, in dem intern ein Raum...
Der Krieg, die Linke und wir
Die Antikriegspraxis der deutschen Linken lässt derzeit zu wünschen übrig, so die Autor*innen dieses Artikels. Was es braucht, sei die Analyse von Ursachen des Krieges sowie Versäumnissen der Linken und die Entwicklung neuer Strategien, die es schaffen, kommende Kriege zu verhindern. Waffenlieferung und Aufrüstung seien davon klar kein Teil.
Die Logik des Krieges ist ein Schwarzes Loch. Die Idee der Nation ist sein Prinzip, seine Gravitation. Alles, was sich nicht umstandslos auf der »richtigen Seite« der Kriegsparteien einreihen lässt, wird von dieser Schwerkraft an sich gezogen und verschluckt. Zwischenräume gibt es nicht. Die Logik des Krieges braucht die Nation als Grundlage ihres Seins. Sie dehnt sie gleichzeitig in ihren verschiedenen Dimensionen aus und radikalisiert sie: als historischer Mythos und als existentielle (Not-)Gemeinschaft. Sie mobilisiert die reaktionärsten Fraktionen des Kapitals, des Staatsapparates und der Zivilgesellschaft für Aufrüstung und nationale Wirtschaftsinteressen.
Wenn sich Teile der ukrainischen Linken dazu entschlossen haben, sich in den Selbstverteidigungskampf der ukrainischen Nation einzugliedern, dann konstituieren sie sich dadurch als Teil eben dieser ukrainischen Nation und verunmöglichen gleichzeitig andere Kämpfe um Befreiung, mit anderen Worten: Sie heben den Klassenkampf in der Form der Nation auf. Aus dem Gravitationszentrum des Schwarzen Lochs dringt nichts mehr nach außen, die Linke droht eine Gefangene im Ereignishorizont des Schwarzen Lochs zu werden.
Parteiverbote, Verbote von kritischen Medien, der Abbau von Arbeiternehmer* innenrechten und die Zwangsrekrutierung der männlichen Bevölkerung zwischen 18 und 60 Jahren werden von der ukrainischen Regierung mit dem Kriegszustand und seinen Notwendigkeiten begründet, dem sich Teile der ukrainischen Linken unterworfen haben. Die hilflose Bitte von Vitalyi Dudin, dem Vorsitzenden von Sotsyalnyi Rukh (Soziale Bewegung) per Brief an den ukrainischen Präsidenten Selenskyi gerichtet, doch bitte gegen die Arbeitsmarktreform Einspruch zu erheben, die eben jener doch selbst initiiert hatte, ist ein Beispiel für die unwiderstehliche Schwerkraft des Schwarzen Lochs. Nicht nur in der Ukraine, auch für uns Linke in den indirekt beteiligten Staaten, werden durch die Fortdauer des Kriegs die Kampfbedingungen verschlechtert. Im globalen Süden stellt sich nicht nur die Frage nach der Verschlechterung der Kampfbedingungen, sondern jene nach dem nackten Überleben für Millionen von Menschen, die besonders vom anhaltenden Wirtschaftskrieg betroffen sind und sich daher bewusst nicht an diesem beteiligen wollen.
Krieg und FaschismusTeile der ukrainischen Linken begründen ihren Schritt der Unterordnung unter die Nation mit dem Argument, es würde ihre Kampfbedingungen in der Zukunft verbessern. Zweifellos wollen weite Teile der Bevölkerung und erst recht die emanzipativen Strömungen in ihr nicht in einer russischen Besatzungszone leben oder gar Teil von Neurussland werden. Wer könnte das nicht nachvollziehen?
Aber die verzweifelte Hoffnung, aus dem Ende des Krieges als gestärkte oder gar als irgendwie gleichberechtigte Kraft hervorzugehen, scheint uns eine zutiefst unrealistische Einschätzung zu sein. Das enge und sich gegenseitig bedingende Verhältnis von Krieg und Faschismus zeigt sich auch in diesem Konflikt; und das nicht nur an dem aggressiven Angriffskrieg des russischen Regimes, sondern auch daran, dass auf beiden Seiten Naziverbände kämpfen, aber auch und vor allem an den innenpolitischen Konsequenzen auf beiden Seiten.
Auch auf Seiten der Ukraine können wir...
Blutflecken auf dem Teppich
Ewgeniy Kasakow gibt einen spannenden Einblick in die Vielschichtigkeit der Russischen Linken. Diese wird vor allem in der Positionierung hinsichtlich des Krieges in der Ukraine deutlich. Hierfür werden kurze Eindrücke der politischen Situationen der Kriegsgegner Michail Lobanow und Jewgeni Stupin gegeben.
Michail Lobanow verließ am 13. Januar 2023 den Knast. Der Mathematikdozent der Moskauer Staatlichen Universität saß eine fünfzehntägige Haft ab. Zu dieser wurde er in Moskau wegen angeblichen Widerstandes bei seiner Festnahme am 29. Dezember verurteilt. An diesem Tag flexten die Polizisten die Tür der Wohnung von Michail Lobanow und seiner Ehefrau und Kollegin Alexandra Sapolskaja auf. Der bekennende Kriegsgegner und Sozialist wurde drei Stunden lang verhört. Währenddessen wurde er mehrmals geschlagen und getreten. Noch bevor die Beamt*innen die durchsuchte Wohnung verließen, ging durch die russischsprachigen Telegramkanäle die Fotos von Lobanow mit Misshandlungsspuren im Gesicht und Blutflecken auf dem Wohnungsteppich. Erst nachdem Lobanow das Gefängnis verließ, klärte sich die Frage nach der Quelle: die Aufnahmen machten die Beamt*innen selbst und brachten sie durch die anonyme Telegramgruppen in Umlauf. Die Aussage dürfte klar sein: die Konsequenzen von oppositionellen Aktivitäten sollen unmissverständlich deutlich gemacht werden.
Als eigentlicher Grund für die Hausdurchsuchung wurde der Kontakt zu Ilja Ponamarjow angegeben. Der ehemalige linke Aktivist und Duma-Abgeordnete Ponamarjow ruft heute aus dem Ausland zum bewaffneten Kampf gegen Putin auf und behauptet Kontakte zur sogenannten »Republikanische Nationale Armee« (RNA) zu haben. Diese übernahm die Verantwortung für den Mordanschlag auf die Propagandistin Darja Dugina am 20. August 2022. Die Existenz der RNA wird jedoch vielfach angezweifelt. Auch Lobanow konnte der Kontakt bisher nicht nachgewiesen werden.
Es war bereits der zweite Gefängnisaufenthalt für Michail Lobanow, dem Mitbegründer der Hochschulgewerkschaft »Uniwersitetskaja Solidarnost«, innerhalb von einem Jahr. Dem Jahr, indem am 24. Februar der Krieg begann. Am 7. Juni wurde er für ein vom Balkon gespannten »Nein zum Krieg«-Transparent zu seiner ersten fünfzehntägigen Haft verurteilt. Mit der zweiten Festnahme endet die Geschichte der Einschüchterungsversuche gegen das Ehepaar Lobanow und Sapolskaja jedoch nicht. Bald nach der Freilassung Lobanows wurde die neue Wohnungstür mit »Z«-Zeichen übersprayt und die Nachbar*innen fanden denunziatorische Flugblätter in ihren Briefkästen.
Bekannt wurde Michail Lobanow, der sich selbst als »demokratischer Sozialist« im Sinne von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn bezeichnet, unter anderem bei den Dumawahlen im Herbst 2021. Damals führte der parteilose Kandidat der Kommunistischen Partei der Russländischen Föderation (KPRF) im Moskauer Wahlbezirk Kunzewo 31,65% (72 805 Stimmen). Lange Zeit sah es so aus, als würde Lobanow den Parlamentssitz bekommen. Doch dann kam die Auszählung der via Internet abgegebenen Stimmen und zum Sieger wurde der Fernsehmoderator Jewgeni Popow, der Kandidat der Putin-Partei »Einiges Russland« (ER). Auf ihn entfielen 35,17 % der Stimmen.
Lobanow wurde nicht nur von einem breiten linken Bündnis von Gewerkschaften, trotzkistischen und linkssozialistischen Gruppen unterstützt, sondern auch von den Unterstützer*innen des liberalen Oppositionellen Alexei Nawalny. Nawalny, dessen Anhänger*innen keine eigene Partei registrieren dürften, rief damals zum »smart voting« auf – in jedem Wahlbezirk sollten die jeweils aussichtsreichsten Kandidat*innen der Opposition gewählt werden, ohne Rücksicht auf die ideologische Differenzen.
Zu den Profiteur*innen des Modells »Liberale...
Überlegungen für eine neue Antikriegsbewegung
Was tun gegen Krieg und Militarisierung? Seit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine vor mittlerweile mehr als einem Jahr ist diese Frage aktueller denn je. Trotzdem tuen sich gesellschaftliche und radikale Linke weiterhin äußerst schwer, hierauf Antworten zu finden. Höchste Zeit also für eine Reflexion der Erfahrungen, die im Rahmen der Initiative »Rheinmetall Entwaffnen« gemacht wurden.
Wir haben es selbst wiederholt gesagt und hören es jetzt immer häufiger: Es brauche eine »neue Antikriegsbewegung«. Gemeint ist damit eine junge, freche, anziehende, aber vor allem offensive, militante und wirkmächtige Bewegung – meist in Abgrenzung zur traditionellen Friedensbewegung, die teilweise noch in der Logik der Systemauseinandersetzung während des Kalten Kriegs verfangen ist.
Wenn wir von neuer Antikriegsbewegung sprechen, dann stehen wir mittlerweile wieder am Anfang. Wir sind heute konfrontiert mit einer waffenfordernden und kriegstreibenden Bewegung gegen den russischen Krieg in der Ukraine, die quer durch linke Strukturen bis hinein in die IL Anschluss findet, aber global in einer Minderheitenposition ist. Somit ist es unsere Aufgabe, mit der Sammlung aller kritischen und emanzipatorischen Kräfte gegen diesen Bellizismus zu beginnen.
Wir versuchen das innerhalb des Bündnisses »Rheinmetall Entwaffnen«. Gleichzeitig gibt es auch bei uns in der IL keine gemeinsamen Antworten auf zentrale Fragen unserer Zeit: Was tun nach der Pandemie, der Krise des Jahrhunderts? Was haben wir zum russischen Krieg in der Ukraine, der stetigen Eskalation aus NATO-Staaten und zur Militarisierung der EU theoretisch und praktisch zu sagen? Wie kann in einer Zeit, in der Bündnisorientierung und Zusammenarbeit mit anderen großen Akteuren, aber auch die Aktionsform des Zivilen Ungehorsams erschöpft scheinen, ein neuer Bewegungszyklus initiiert werden? Welche Kämpfe erwarten uns in der kommenden Zeit?
Aber eins können wir festhalten: Die IL wurde immer von ihren Projekten getragen. Durch Heiligendamm, Castor Schottern, Blockupy und Ende Gelände hat sie Attraktivität und Mitstreiter*innen gewonnen. Im momentanen Stillstand und der Perspektivlosigkeit fehlen uns Sichtbarkeit und gemeinsame kollektive Erfahrungen. Die IL wurde durch Projekte wahrnehmbar und stark. Durch diese gab es bleibende kollektive Erfahrungen. Derzeit fehlen weitgehend solche gemeinsamen IL-Projekte. Deshalb brauchen wir wieder entsprechende Ideen und einen Aufschwung der Projekte. In diesem Sinn ist dieser Text auch ein Vorschlag mit längerfristiger Perspektive.
Vier AusgangspunkteDer Krieg beginnt hier. Hier werden die Waffen herstellt, die weltweit Schaden anrichten und mit denen auch gegen mutmachende und hoffnungsgebende Bewegungen wie in Chiapas oder Rojava vorgegangen wird. Damit diese emanzipatorischen Bewegungen erfolgreich sein können, kämpfen wir hier. Nach wie vor ist das richtig, was Andrea Wolf am 1. Mai 1997 in den Bergen Kurdistans in ihrem Guerilla-Tagebuch festhielt: »Ich würde mir wünschen, dass es in den Metropolen Bewegungen gäbe, die diesen Krieg angreifen, unmöglich machen würden. Einfach den Nachschub kappen. Ich weiß, es ist angesichts des Zustands in den Metropolen utopisch. Auch auf längere Zeit wird es so bleiben. Schade, das wäre was. Eine militante Bewegung, die die Kriegsmaschine lahmlegt.« So stellt sich uns die konkrete Frage, die wir gemeinsam mit anderen Akteuren beispielsweise aus der Klimabewegung praktisch beantworten müssen: Wie können wir heute die zerstörerischen herrschenden Verhältnisse effektiv angreifen und...
Wenn DIE LINKE untergeht, was reißt sie mit?
Das Verhältnis zwischen der radikalen Linken und der Linkspartei ist ambivalent. Als parlamentarischer Arm der Bewegung erfüllt sie wichtige Funktionen für unsere Arbeit und trägt unsere Anliegen im Idealfall in die Parlamente und einen bürgerlichen Diskurs. So zumindest die Idee. In der Realität wird sie diesem Anspruch selten gerecht. Was bedeutet also der Untergang der Linkspartei für uns?
Ein Text über die Partei DIE LINKE (PdL) aus radikal linker Perspektive zu schreiben ist immer ein schwieriges Unterfangen. Das Verhältnis einer radikalen Linken, die eine antagonistische Position zum bürgerlichen Staat einnimmt, und einer Partei, die sich innerhalb dieser Institutionen bewegt, ist von Widersprüchen durchzogen. Das liegt vor allem in den unterschiedlichen Systemlogiken begründet. Während z.B. die Bewegungen von der Partei zurecht verlangen, ihre Anliegen innerhalb des Staates einzubringen oder sogar umzusetzen, verfügt die Partei in vielen Fällen gar nicht über die dafür notwendige Macht. So ist eine Partei in der Opposition real recht machtlos, kann dort aber auch radikalere Positionen zum Ausdruck bringen. In einer Koalition kann sie wiederum nur durchsetzen, was auch die anderen bürgerlichen Partner mitmachen und muss im Gegenzug faule Kompromisse hinnehmen. Aus Perspektive der Bewegungen entsteht hier zwingend der Eindruck, es werde nur halbherzig von der Partei geliefert.
Darüber hinaus hängt das Überleben von Parteien davon ab, dass sie massentauglich sind, während die radikale Linke genau weiß, dass sie das oftmals nicht ist und unter den gegebenen Umständen nicht sein wird. Das ständige Schielen auf die öffentliche Meinung und der bange Blick auf Umfragen und Wahlergebnisse verhindern oftmals notwendige klare Entscheidungen, da diese zu massiven Ver-lusten führen würden. In diesem Zusammenhang ist auch der Konflikt zwischen der Partei und Teilen ihres Spitzenpersonals einzuordnen. Hier wünschen sich viele innerhalb und außerhalb der Partei eine klare Kante und letzten Endes einen Ausschluss jener Personen, die im Alleingang und gegen die Beschlüsse der Partei unhaltbare Positionen vertreten. Gleichzeitig ist klar, dass z.B. ein Parteiausschlussverfahren gegen prominente und von vielen Teilen der Bevölkerung angesehene Personen ein sehr langwieriges und schmerzhaftes Verfahren wäre, was der Partei über einen langen Zeitraum hin-weg öffentliche Konflikte, Verluste von Wähler*innen, Mitgliedern und nicht zuletzt wesentliche Strukturen samt den dazugehörigen Mitteln bedeuten würde. Daher wird dieser Schritt gescheut, nicht aus politischen, sondern primär aus strategischen Überlegungen. Gleichzeitig führt diese Unklarheit auf Dauer auch zu einem schleichenden Ausbluten der Partei und der öffentlichen Wahrnehmung der Partei als völlig zerstritten. Dies ist nur einer der Gründe für die momentane Schwäche der Partei, alle weiteren aufzuführen würde den Rahmen dieses Textes sprengen.
Es bleibt zunächst festzustellen, dass die Partei nach allen Indikatoren in einer tiefen Krise steckt. Der Zeitpunkt für diese Krise ist denkbar schlecht. Gerade jetzt bräuchte es eine starke linke Partei in den Parlamenten. Diese hätte die Aufgabe den Bewegungen dort Gehör zu verschaffen und innerhalb der Institutionen Druck aufzubauen, um längst überfällige Veränderungen anzustoßen.
Aus dieser kurzen Bestandsaufnahme ergeben sich nun eine Reihe von Fragen von denen ich drei im folgenden kurz beginnen möchte zu besprechen.
- Was bedeutet die Schwäche der PdL für die radikale Linke?
- Was...
Der 8. März und die Revolution im Iran
Mit Bahar, einer feministischen Wissenschaftlerin und Aktivistin aus der Berliner Gruppe Bolandg00 und dem Netzwerk Feminist4Jina, sprachen wir im Vorfeld des 8.März über den feministischen Kampftag im Iran und Deutschland, die Iranische Revolution und ihr Verständnis von internationaler Solidarität.
Redaktion: Hallo Bahar, wir treffen uns heute anlässlich des 8. März, um über den feministischen Kampftag, die Iranische Revolution und internationale Solidarität zu sprechen. Was bedeutet der 8. März für dich?
Bahar: Es gibt diesen bekannten Satz: »Der 8. März ist jeden Tag«. Ich versuche jeden Tag feministisch aktiv zu sein, also hat der 8. März für meinen feministischen Kampf nicht diese ganz herausragende Bedeutung. Was ich aber an dem Tag schön finde, ist diese Sichtbarkeit zu haben und zu merken, dass mit mir gemeinsam unzählige andere Personen auf die Straße gehen. Viele haben ähnliche Anliegen wie ich, andere solche, die mich weniger direkt betreffen, die ich aber unterstütze und teile. Sich gemeinsam feministisch zu organisieren und auf der Demo mitzulaufen gibt einem das Gefühl, nicht allein zu sein.
Gleichzeitig ist es aber auch ein Tag, an dem einem klar wird, was für ein Privileg es ist, sich hier in so großen Massen versammeln zu können, während der 8. März beispielsweise im Iran in einem ganz anderen Kontext stattfindet. Aktivist*innen versuchen sich natürlich auch dort zusammenzuschließen und Aktionen zu organisieren, das sind dann meistens aber kleine Gruppen, die sich dreimal verhüllen und irgendwo ein paar Fotos machen, um nicht erkannt zu werden. Wenn man sich dann vor Augen führt, mit welchem Risiko das im Vergleich zu unseren Demos verbunden ist, wird deutlich, wie unterschiedlich der 8. März begangen wird.
Welche spezifische Geschichte hat der 8. März im Iran?
Der 8. März direkt nach der Revolution 1979 war ein historischer Augenblick des feministischen Kampfs im Iran. Es war die Zeit, in der die Kleriker dabei waren sich zu etablieren und ihre Rufe nach extrem misogynen Familiengesetzen sowie dem obligatorischen Hijab immer lauter wurden. Gegen diese Politik gingen damals am 8. März Millionen Frauen auf die Straße, nicht nur in Teheran sondern in zahlreichen Städten. In letzter Zeit habe ich mir öfter die Videos von diesem Tag angeschaut. Einerseits machen sie Mut, andererseits ist es aber auch so frustrierend zu sehen, dass Frauen und feministische Kämpfer*innen vor 44 Jahren genau die gleichen Dinge einforderten wie wir heute. Sie waren es, die die Revolution mitgetragen und gegen den Schah protestiert hatten, und nur wenige Monate später wurden ihre Rechte dermaßen beschnitten. Diese Frauen wurden um ihren Beitrag in der Revolution betrogen und trotzdem - oder gerade deswegen - gingen sie auf die Straße.
Du bist in Berlin in verschiedenen politischen Gruppen aktiv. Was macht ihr als Bolandg00? Wie seid ihr entstanden? Wie seid ihr in die Proteste im Iran involviert?
Ich bin Soziologin von Beruf und würde mich als feministische Wissenschaftlerin und Aktivistin bezeichnen. Organisiert bin ich in der Gruppe Bolandg00, Bolandg00 bedeutet übersetzt Megafon. Wir sind eine Plattform mit dem Ziel, die Stimmen der Revolution im Iran zu verstärken, sie hörbar zu...
Per Volksabstimmung zur Konversion?
Die Schlinge um die Arbeiter*innen des ex-Gkn-Werks in Campi Bisenzio zieht sich zu: Seit dem 8. November 2022 hat der neue Werksinhaber Francesco Borgomeo die Zahlung des Transformationskurzarbeitergeldes ausgesetzt. Wie steht es nun um den Kampf für eine Konversion des seit über einem Jahr besetzten Autozulieferer-Betriebes in der Toskana?
Dieser Artikel ist eine Fortsetzung des Beitrags #Insorgiamo - Fabrikbesetzung für's Klima. Auch hier danken wir der Zeitschrift Luxemburg für die Ermöglichung der Zweitveröffentlichung.
»Eccolo qua il Made in Italy« (»Das hier bedeutet Made in Italy«) heißt es auf einem Banner, das an einem Wagen voller verrosteter Achswellen für Nutzfahrzeuge befestigt ist. Damit wird humorvoll auf das italienische Wirtschaftsministerium verwiesen, dem die frisch gewählte Staatschefin Giorgia Meloni ein national-protektionistisches Antlitz verliehen und welches sie zum »Ministerium für das Made in Italy« umbenannt hat. Die dem strömenden Regen überlassenen Achswellen ähneln einem wertlosen rostigen Stahlhaufen, waren einst aber das Spitzenprodukt des britischen Automobilzulieferers GKN-Driveline. Die hochwertigen, vollautomatisierten und teils noch unbenutzten Maschinen zur Herstellung der Achswellen, die diesen GKN-Standort auszeichneten, stehen bis heute in der besetzten Fabrik. Vor dem berüchtigten 9. Juli 2021, der Tag an dem der Eigentümer von GKN, der Investmentsfonds Melrose Industries, das Werk schloss, waren hier 500 Arbeiter*innen beschäftigt, davon 422 festangestellt. 330 von ihnen sind heute noch an QF, das Unternehmen des neuen Eigentümers Francesco Borgomeo, gebunden und blicken tagtäglich auf den Stahlhaufen vor »ihrem Zuhause«, wie sie die Fabrik nennen. Einer von ihnen ist Giovanni. Er hat hier 15 Jahre lang als Abteilungsleiter gearbeitet und ist einer der wenigen leitenden Angestellten, die bis heute Teil der Besetzung geblieben sind:
»Die anderen Abteilungsleiter*innen und die Facharbeiter*innen haben sehr schnell eine neue Beschäftigung gefunden. So lange ich es mir leisten kann, will ich aber hier bleiben. Für mich ist es ein moralisches Prinzip geworden.«
Für ihn steht der beunruhigende Stillstand hier in Campi Bisenzio sinnbildlich für das Versagen der gesamten italienischen Industrie:
»Es kann nicht sein, dass ein Werk mit den technologisch hochwertigsten Maschinen, das Gewinne macht, die eigene Produktion im Handumdrehen ins Ausland verlagert und der Staat und die Institutionen dies ermöglichen, ohne einen Mucks von sich zu geben. Das heißt, dass dieses Finanzsystem, Kapitalismus, wie auch immer man es nennen will, nicht für die Gemeinschaft, sondern für private Interessen funktioniert.«
Gegen diese beängstigende Situation führt das Fabrikkollektiv GKN einen seit 17 Monaten andauernden betrieblichen Abwehrkampf, woraus sich eine außergewöhnliche sozial-ökologische Mobilisierung in der Toskana und darüber hinaus entwickelt hat. Klimaaktivist*innen, Anwohner*innen, Bäuer*innen kämpfen gemeinsam mit den Arbeiter*innen für eine ökologische Umstellung der Produktion. Bis zum November 2022 konnte die Besetzung und der gesellschaftliche Kampf, den das Fabrikkollektiv anführte, auf Grundlage eines Transformationskurzarbeitergeldes geführt werden. Dies wird ihnen durch die neue Unternehmensleitung von QF nun nicht mehr ausgezahlt.
Nichts als heiße LuftAm 23. Dezember 2021 kaufte der Unternehmer Francesco Borgomeo die Gesamtheit der GKN-Aktien dem Investmentfonds Melrose Industries ab. Er stammt aus einer reichen norditalienischen Familie, die im Laufe des 20. Jahrhunderts im Bereich der Metallverarbeitung ein Vermögen aufbaute. Francesco Borgomeo trat in...
#Insorgiamo – Fabrikbesetzung fürs Klima
Das Collettivo di Fabbrica GKN kämpft gegen die Schließung einer Zulieferfabrik der Automobilindustrie nahe Florenz. Gefordert wird ein radikaler ökologischer Umbau der Produktion. Aus dem Abwehrkampf einer einzelnen Belegschaft ist ein breites Bündnis aus Beschäftigten, Klima-Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen geworden. Wie konnte das gelingen?
Dieser Artikel erschien bereits im Oktober 2022 in der Zeitschrift Luxemburg, deren Redaktion uns freundlicherweise genehmigt hat, ihn hier zweitzuveröffentlichen.
Man stelle sich einen Klimastreik vor, bei dem 40.000 Fabrikarbeiter*innen, Klimaaktivist*innen, Friedensbewegte und politisch Unorganisierte zusammentreffen. In ihren Reden skandalisieren sie die Schließung eines Autozulieferer-Betriebes. Alle sind sich einig, dass man eine Konversion des Betriebes statt Entlassungen braucht. Im vordersten Block laufen die Arbeiter*innen der betroffenen Fabrik, hinter ihnen Massen von kämpferischen Klimaaktivist*innen und spontanen Demobesucher*innen. Die Beschäftigten des Werkes schließen sich mit Wissenschaftler*innen zusammen, um einen Konversionsplan zu entwickeln. Abgeleitet aus ihren Fähigkeiten und den neuesten umweltwissenschaftlichen Erkenntnissen entsteht die Vision, von nun an Bestandteile für wasserstoffbetriebene Busse herzustellen. Immer mehr Menschen sind sich einig: Eine Produktion für die Menschen, nicht für die Profite muss her!
Diese Vision, die am Ende eines ökosozialistischen Manifestes stehen könnte, ist im letzten Jahr in der Toskana Realität geworden. Nachdem die 422 Festangestellten und ca. 80 Leiharbeiter*innen des Automobilzulieferers GKN Driveline am 9. Juli 2021 per E-Mail mitgeteilt bekamen, dass sie am kommenden Montag nicht mehr zur Arbeit erscheinen sollten, besetzten sie ihr Werk in Campi Bisenzio, einem Vorort von Florenz. Strategisches Zentrum der Besetzung und der um sie herum entstandenen Mobilisierungswelle ist das Fabrikkollektiv Collettivo di Fabbrica GKN, das autonom, aber eng verbunden mit den offiziellen Gewerkschaftsstrukturen agiert. Die Mehrheit der gut 500 Arbeiter*innen inklusive der in der CGIL-FIOM organisierten Betriebsräte verstehen sich als Teil des Kollektivs, das sich außerhalb der Arbeitszeiten trifft. Die FIOM (Federazione Impiegati Operai Metallurgici) ist die Gewerkschaft der Arbeiter*innen in metallverarbeitenden Betrieben, die dem Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbund (CGIL) angehört.
GKN ist ein Automobilzulieferer mit mehr als 50 Produktionsstätten auf der ganzen Welt. Bis zum Produktionsstopp im Sommer 2021 wurden im Werk in Campi Bisenzio hauptsächlich Achswellen für Fiat (Ducato), Maserati und Ferrari hergestellt. Die Inhaber des Werkes haben in den vergangenen Jahrzehnten stetig gewechselt. Einst im Besitz von Fiat, wurde das Werk im Jahr 1994 von dem Unternehmen GKN erworben, das wiederum 2018 vom britischen Investmentfonds Melrose Industries für 8 Mrd. aufgekauft wurde. Nur drei Jahre später verkündete die Geschäftsführung nun die Schließung des Werks in Campi Bisenzio und die Entlassung der gesamten Belegschaft, wurde drei Tage zuvor das Entlassungsverbot aufgehoben, das die italienische Regierung im Rahmen der Corona-Pandemie beschlossen hatte. Der Grund ist keineswegs eine Krise des Unternehmens. Unmittelbar vor der Schließung wurde noch in hochwertige Roboter investiert, die bis heute eingeschweißt im besetzten Werk stehen (vgl. Cini u. a. 2022, 5). Es handelt sich bei der Schließung vielmehr um einen »Teil des Prozesses der Finanzialisierung von Unternehmen und der spekulativen Prinzipien des Shareholder-Kapitalismus«: Das einzelne Werk wird einer profitorientierten Re-Strukturierung der Wertschöpfungskette geopfert und die Produktion ins Ausland verlagert. Das Motto von Melrose Industries »Buy, Improve,...
Unser Slogan ist »Krieg dem Krieg!«
Für eine solidarische Antwort auf Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine! Wie diese aussehen kann, damit setzt sich dieser Beitrag russischer Genoss*innen auseinander. Es wird nicht mit Kritik an der Linken im Westen gespart. Wir veröffentlichen diesen Text, um auch nach einem Jahr des Ukraine-Kriegs die Debatte weiter anzustoßen und mit neuen Sichtweisen zu bereichern sowie zu einer Klärung unserer Position(en) beizutragen.
Seit einem Jahr tötet das Regime von Wladimir Putin Ukrainer:innen, treibt Hunderttausende Russ:innen in den Tod und bedroht die Welt mit Atomwaffen im Namen des wahnsinnigen Ziels der Wiederherstellung des russischen Reichs. Für uns Russ:innen, die sich der Aggression und Diktatur Putins widersetzen, war es ein Jahr des Schreckens und der Schande wegen der Kriegsverbrechen, die täglich in unserem Namen begangen werden. Am Jahrestag dieses Krieges rufen wir alle, die sich für den Frieden einsetzen, auf, gegen Putins Invasion zu demonstrieren. Es ist bedauerlich, dass nicht alle Demonstrationen »für den Frieden«, die in diesen Tagen stattfinden werden, Aktionen der Solidarität mit der Ukraine sein werden. Ein großer Teil der Linken im Westen versteht das Wesen dieses Krieges nicht und zieht den Kompromiss mit dem Putinismus vor. Wir haben diesen Text verfasst, um unseren Genoss:innen im Ausland zu helfen, die Situation zu verstehen und die richtige Haltung einzunehmen.
Konterrevolutionärer KriegEinige westliche Autor:innen sehen die Ursachen des Krieges im Zusammenbruch der UdSSR, in der widersprüchlichen Geschichte der ukrainischen Nationsbildung und in der geopolitischen Konfrontation der Atommächte. Ohne die Bedeutung dieser Faktoren in Abrede stellen zu wollen, sind wir doch überrascht, dass der wichtigste und offensichtlichste Grund für die Ereignisse nicht auf der Liste steht: der Wille des Putin-Regimes, demokratische Protestbewegungen in der ehemaligen Sowjetunion und in Russland selbst zu unterdrücken. Die Einnahme der Krim und der Ausbruch der Feindseligkeiten im Donbass im Jahr 2014 waren die Antwort des Kremls auf die „Revolution der Würde« in der Ukraine, die die korrupte pro-russische Regierung von Wiktor Janukowitsch stürzte, und auf die Massendemonstrationen von Russ:innen für faire Wahlen in den Jahren 2011 bis 2012, bekannt als die Proteste auf dem Bolotnaja-Platz. Die Annexion der Halbinsel war für Putin ein innenpolitischer Triumph. Er nutzte erfolgreich revanchistische, antiwestliche und traditionalistische Rhetorik (sowie Repression), um seine gesellschaftliche Basis zu verbreitern, die Opposition zu isolieren und die Bevölkerung mit den Folgen des »Maidans« zu verängstigen. Der »Krim-Effekt« war jedoch nur von kurzer Dauer: Ende der 2010er Jahre ließen die wirtschaftliche Stagnation, die unpopuläre Rentenreform und die medienwirksamen Anti-Korruptions-Enthüllungen von Nawalnys Team die Umfragewerte Putins wieder sinken, vor allem bei jungen Menschen. Proteste erschüttern erneut das Land und die Regierungspartei »Einiges Russland« musste bei den Regionalwahlen eine Reihe empfindlicher Niederlagen einstecken.
Unter diesen Umständen setzte der Kreml alles auf den Erhalt des Regimes. Das Verfassungsplebiszit 2020, das selbst für russische Verhältnisse beispiellose Fälschungen erforderte, machte Putin zum Herrscher auf Lebenszeit. Unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung wurden schließlich Demonstrationen verboten und einer der Führer:innen der außerparlamentarischen Opposition, Alexej Nawalny, überlebte nur knapp einen Giftanschlag. Der Volksaufstand in Belarus im Sommer 2020 bestätigte die russische Elite in ihrer Überzeugung, der...
Klassenkampf für die ökologisch-soziale Revolution
Im Februar hat in Frankfurt das Treffen des Transnational Social Strike stattgefunden. Dort wurde auch die Frage diskutiert, wie Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung mit Arbeiter*innen einen gemeinsamen Kampf führen können. Zur Vorbereitung wurde ein Journal verschiedener Stimmen aus Europa veröffentlicht. Den Text der IL wollen wir hier dokumentieren.
Die Herausforderungen gemeinsamer KämpfeDeutschland ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch stark industrialisiert. Die Produktion dieser Industrien hängt von billigen Rohstoffen und billiger Energie ab. Die Arbeitsplätze sind gut bezahlt, auch weil dort noch viele Arbeiter*innen gewerkschaftlich organisiert sind. Seit Mitte der 1970er wurden in Westdeutschland und seit den 1990ern besonders stark in Ostdeutschland Industriebetriebe abgebaut und in den Globalen Süden verlagert. Zurück blieben abgehängte Regionen mit starker endemischer Arbeitslosigkeit sowie Armut.
Besonders in den noch bestehenden Kohlerevieren gibt es den starken Konflikt zwischen den Interessen der Beschäftigten und den notwendigen Aktionen gegen die Klimakrise. Viele Arbeiter*innen haben das Schicksal des Kohleausstiegs im Ruhrgebiet oder die Verheerungen der Treuhand in Ostdeutschland vor Augen. Dort fand kein Strukturwandel, keine Transformation statt. Deshalb gehören das Ruhrgebiet und Teile Ostdeutschland zu den ärmsten Regionen Deutschlands.
Für die richtigen und notwendigen Aktionen gegen den Kohleabbau ergeben sich daher Probleme. Es gibt den Konflikt Kohleausstieg vs. Joberhalt. Die Arbeiter*innen haben verständlicherweise Angst um ihre Zukunft. Gerade in den strukturschwachen Regionen ist es selten, einen gutbezahlten Job oder überhaupt einen Job zu haben. Bei Jobverlust bleibt die Wahl zwischen Armut und Wegzug.
Es müssen sich aber auch andere Industrien auf Änderungen einstellen. Die Kapitalfraktion versucht ihre Profite und Herrschaft zu schützen. Die Alternative in den Bereichen Chemie, Automobil und Agrarwirtschaft heißt grüne Transformation. Dabei geht es aber im Wesentlichen bloß um ein Weiter-so in Grün. Für die Automobilindustrie soll nur der Antrieb gewechselt werden – eine Verkehrswende ist nicht geplant. Plastik soll nicht eingespart, sondern durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. Und das Agrarbusiness setzt weiter auf die industrialisierte Landwirtschaft mit synthetischen Düngern, Gentechnik und Bodenkonzentration. Die Ängste der Arbeiter*innen werden aber auch von rechten Parteien und Nazis genutzt. Sie stellen sich als vermeintliche Anwält*innen der »kleinen Leute« dar. Sie leugnen die menschengemachte Klimakrise. Stattdessen verbreiten sie die Lüge, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Rechte und Nazis stellen Klimagerechtigkeit als Verschwörung gegen die »hart arbeitende Bevölkerung« dar. Gepaart mit Angriffen auf eine vermeintliche Elite und ihre globalisierte Politik sprechen sie die Ressentiments der Bevölkerung an und und schüren antisemitisch und rassistische Vorurteile. Ihr Ziel ist der bürgerliche Faschismus 2.0.
Die Stimmungsmache hat bereits dazu geführt, dass Aktionen von Ende Gelände in Ostdeutschland eine antifaschistische Schutzstruktur benötigen. Auch Aktionen gegen Straßenausbau werden angegriffen. In den westdeutschen Braunkohlerevieren kommt es auch vermehrt zu Angriffen und Aktionen von Rechten. Aber auch Gewerkschaften und ihre Mitglieder haben schon gegen Orte der Klimagerechtigkeit demonstriert und Aktivist*innen bedroht. In dieser Gemengelage ist es schwer, die Frage zu beantworten, wie wir Belegschaften und die Bewegung zusammenbringen, um gemeinsam für eine sozial und ökologisch gerechte Zukunft zu streiten. Trotzdem ist es wichtig hier auf diejenigen zuzugehen, welche die Dringlichkeit des Handelns erkannt haben....
Machen wir uns die Hände schmutzig!
Die Überbetonung der Polizeigewalt in unserer eigenen Öffentlichkeitsarbeit im Nachhinein zu Lützerath war ein Fehler. Als radikale Linke sollten wir viel eher betonen, dass der Staat in die Defensive gekommen ist und wir gemeinsam mit Vielen Militanz erprobt haben, argumentiert die IL Frankfurt.
Alle, die in Lützerath waren, und alle, die die Schlammschlacht nur aus der Ferne verfolgten, wissen: Es war letztlich die staatliche Gewalt in Form der Polizei, in Übereinstimmung mit den privatwirtschaftlichen Interessen von RWE, die uns daran hinderte, den Genoss*innen in Lützerath zu Hilfe zu kommen. Wir selbst haben dafür in unserer Pressearbeit im Nachhinein gesorgt, dass an den Bildern der vorwärtsstürmenden Bullen niemand vorbeikam. Damit haben wir einen Fehler begangen, eine Chance verpasst und uns selbst in den Tagen danach einem schalen Gefühl der Niedergeschlagenheit ausgesetzt.
Lützerath - eine Niederlage?
Ja, objektiv betrachtet war der Samstag in Lützerath eine Niederlage. Es ist uns nicht gelungen, den Zaun zu überwinden, die angegriffene Besetzung im Dorf auszuweiten und damit den faulen Kohlekompromiss materiell infrage zu stellen. Subjektiv gesehen jedoch − ausgehend von denen, die kämpfen − hat sich an diesem Tag und darüber hinaus etwas verschoben. Man lässt sich schlichtweg nicht mehr alles gefallen und ist bereit, Militanz tatsächlich zu erproben. Wir alle wissen daher noch etwas Weiteres: Den größten Teil des Tages lief der Staat rückwärts, er zog sich immer weiter an den Zaun zurück und konnte uns nichts als seine eruptiven Gewaltausbrüche entgegensetzen. Nur die militärisch abgesicherte Einfriedung des Dorfes hat uns daran gehindert, die Bullen und RWE aus Lützerath zu vertreiben. Angesichts der Entschlossenheit der Menschenmengen und dem Regen an Schlamm, Steinen und Pyro, blieb ihnen nichts als der Rückzug zum Zaun und die offensiven Prügelattacken, mit denen sie sich kurzzeitig zehn Meter Spielraum verschafften.
Über den ganzen Tag hinweg gab es immer wieder Momente, in denen es keine hohle Phrase mehr war, dass die Angst die Seite gewechselt hat. Allein zahlenmäßig waren wir den Bullen so überlegen, dass sie uns weder vom Zaun um das Dorf herum fernhalten konnten, noch Anstalten machten, Einzelne in großer Zahl herauszuziehen und zu verhaften. Es ergab sich eine Situation, in der es möglich war, dass die einen, unorganisierte Menschen aller Altersgruppen, spontan von der NGO-Demonstration in Richtung Lützerath liefen und dabei - ohne organisierte Fingerstrukturen - teilweise sogar Polizeiketten durchbrachen. Die anderen warfen mit Matsch auf die Bullen und schlugen bei den Prügelattacken zurück, wieder andere ließen Steine und Pyro fliegen. Auch wenn nicht alle dasselbe gemacht haben und sicher auch nicht alle Menschen jedes Mittel gleich gut fanden, zeigte sich eine breite Entschlossenheit auf den Äckern, an den Zaun zu kommen. Dieses Moment der Ermächtigung im Ereignis ist nicht das letzte Ziel linksradikaler Politik, darf aber auch nicht unterschätzt, geschweige denn in der eigenen Nachbereitung verschwiegen werden. Den Augenblick, in dem viele um uns herum die Angst verloren und alles Verfügbare in die Hand nahmen, um in die Offensive zu gehen und die Bullen zurückzudrängen, werden wir und viele andere nicht vergessen. Darüber sollten wir nicht schweigen....
Gas und Inflation
Der Versuch linker Akteur:innen, einen »heißen« Herbst zu initiieren, scheiterte. Unseres Erachtens liegt das nicht zuletzt daran, dass die gesellschaftliche Linke weder eine profunde Analyse noch eine überzeugende Handlungsperspektive abseits von Demos »für mehr staatliche Unterstützung« anzubieten hatte – in Österreich und Deutschland gleichermaßen. Wir greifen im Folgenden drei wesentliche Argumente anderer heraus, um daraus zwei Schlussfolgerungen für uns zu ziehen und runden den Text mit einem Aufruf ab, sich an der Mobilisierung zum »Gas-Gipfel« im März 2023 in Wien zu beteiligen.
Warum steigen die Preise so massiv?Am 24. Februar 2022 hat mit dem militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine eine imperiale Auseinandersetzung um den Machteinfluss Russlands auf die Ukraine begonnen. Energie und vor allem Gas sind in diesem Krieg zu einer Waffe geworden, denn die Gaslieferungen sind eines der wichtigsten Instrumente des russischen Einflusses. Dies ist zunächst eine Erkenntnis, welche die gesellschaftliche Linke mit einer ganzen Reihe bürgerlicher Kräfte teilt. Doch alleine stehend ist sie verkürzt: Die Aufgabe der Linken ist es, diese Knappheit als von der wachsenden Wirtschaft getriebene sichtbar zu machen.
Das bedeutet erstens anzuerkennen, dass diese Knappheit trotz aktuell gefüllter Speicher real ist: Die derzeitige Energienachfrage übersteigt das Angebot. Neben dem Krieg ist dies aber auch auf die gestiegene Energienachfrage durch wieder anlaufendes Wirtschaftswachstum nach 2 Jahren Pandemie zurückzuführen. Der kriegsstrategische Einsatz der Gasressourcen von russischer Seite, zusammen mit den Sanktionen gegen Russland, trieben die Anfang 2022 ohnehin schon deutlich gestiegenen Energiepreise noch weiter nach oben.
Zweitens ist (in Ö) spätestens mit der kurzzeitigen Fast-Pleite von Wien Energie (2022), immerhin einem städtischen Energieversorger des »roten« Wiens, deutlich geworden, dass der Kauf und Verkauf von Gas für die Strom- und Wärmeversorgung extrem undurchsichtig abgewickelt wird. Nach Angaben des Unternehmen, der Stadt und »den Expert:innen« sei nur durch die Börsengeschäfte, die der Grund für die Fast-Pleite waren, überhaupt Preisstabilität für die Endkund:innen zu gewährleisten. Wir fragen uns: wollt ihr uns verarschen? Energie ist ein Grundbedürfnis, kein gewinnorientiertes Geschäft. Der Kauf und Verkauf von Energie auf dem Weltmarkt und die auf europäischer Ebene beschlossenen Marktliberalisierungen führen weder zu preiswerter noch zu sicherer Versorgung, sondern zu steigenden und noch dazu äußerst prekären Preisen. Mit einer einhundertprozentigen Liberalisierung des Strommarktes – also dem mehr oder weniger unkontrollierten Marktgeschäft mit Energie – gehörte Österreich unter Schwarz-Blau I zu den absoluten Vorreitern der Marktliberalisierung im Energiesektor. Bei dieser Liberalisierung handelte es sich um die Umsetzung einer Vorgabe der EU-Kommission, die von Österreich in der Ära Schüssel aktiv mit vorangetrieben wurde. Diese besagt, dass mindestens 30% des Strommarktes liberalisiert sein muss; aber warum nur 30 % liberalisieren, wenn wir doch 100% der Stromversorgung der Gesetzes des Marktes unterwerfen können, dachte sich die damalige Bundesregierung. Zu dieser Liberalisierungsstrategie gehörte auch, dass Stromerzeugung, Netztrieb und Stromlieferung organisatorisch getrennt sind und somit drei – allesamt gewinnorientierten – Bereiche miteinander handeln. Die Folge dieser Marktliberalisierung wird in der heutigen Situation realer Knappheit sichtbar – und auch nicht: Ehemals staatliche Netzbetreiber wie Wien Energie sind heute Aktiengesellschaften und damit rechtlich verpflichtet, profitorientiert zu wirtschaften. Genau dieser Fakt geht...
Die vierte Internet Revolution passiert jetzt
Die Welle um Twitter scheint sich kurzzeitig wieder gelegt zu haben und damit auch der Hype um Mastodon. Trotzdem: Da bekam das erste Mal eine Alternative zu Coporate Social Media weltweit riesige Aufmerksamkeit. Ein Zeitfenster, das wir nutzen sollten! Die Hintergründe liefern wir euch hier.
Der folgende Text wurde zuerst am 20. November 2022 auf keimform.de veröffentlicht. Wir haben uns entschlossen, ihn in überarbeiteter Form in den Debattenblog aufzunehmen, da wir ihn für einen interessanten Diskussionsbeitrag (inkl. Hintergrundinformationen über Mastodon) halten. Wir haben mit Zustimmung des Autors einige kleinere unautorisierte Kürzungen und Erläuterungen vorgenommen, die jedoch die politische Stoßrichtung des Artikels beibehalten. Wir empfehlen den technikinteressierten Leser*innen, bei Bedarf selbst weiter zu recherchieren. – Eure Blogredaktion.
Eine kurze Geschichte des InternetsBekanntlich rennt die Zeit im Internet schneller als anderswo. Was eben noch Gewissheit war, ist jetzt schon überholt. Ein Trend jagt den nächsten. Doch grob lässt sich die Geschichte des jungen Mediums in drei Phasen oder »Revolutionen« einteilen. Diese Umbrüche korrespondieren mit den historischen Umbrüchen, die mehr oder weniger gleichzeitig in der größeren Welt »draußen« passierten.
Das Internet kam zusammen mit der 68er-Revolution in die Welt, als ein Medium für eine sehr kleine Technikelite. Damals war es für die meisten Menschen genauso unzugänglich wie ein Teilchenbeschleuniger. Im Laufe der Jahre verbesserte sich die Zugänglichkeit dann etwas auf das Niveau von Universitätsbibliotheken. Doch von Anfang an waren viele kulturelle Normen des Netzes ähnlich denen der 68er. Aus dieser Verbindung von Hippiekultur und Technikelite sollte sich später dann die sogenannte »Californian Ideology« (Barbrook/Cameron) entwickeln.
Ein Phänomen für breite Bevölkerungsschichten wurde das neue Medium erst, als sich persönliche Computer (PC) verbreiteten, Telekommunikationsunternehmen begannen, günstige Anschlüsse zu verkaufen, und an einem der erwähnten Teilchenbeschleuniger das WWW erfunden wurde. All das ermöglichte eine ganz neue Art der Präsentation und des Zugangs. Das war die zweite Internetrevolution. »Draußen«, in der weiteren Welt, fand der kalte Krieg sein Ende und der Neoliberalismus begann seinen Siegeszug. Währenddessen erschien das Neuland« (Merkel) als eine »blühende Landschaft« (Helmut Kohl), in der vergleichsweise unreguliert ganze Branchen umgekrempelt wurden und sogar erste zarte Pflänzchen einer ganz neuen Produktionsweise (Wikipedia, Linux, Open Source …) entstanden.
Doch mit dem Beginn des »Kriegs gegen den Terror« drehte sich der Wind. Die dritte Internetrevolution war eine Konterrevolution. Das Netz wurde stärker reguliert, überwacht und eingehegt. Staat und Kapital arbeiteten dabei Hand in Hand in einer ähnlichen Bewegung, wie sie seit dem 17. Jahrhundert überall geschieht, wo Kapitalismus ist: Enclosure of the Commons. Während staatliche Institutionen das Internet regulierten und überwachten, übernahmen die neuen Techkonzerne, die den Kollaps der New Economy überlebt hatten, das Aufbauen der Zäune um die Datengärten und katapultierten sich damit innerhalb weniger Jahre in die Spitzenklasse der kapitalistischen Wertschöpfung.
Corporate Social Media: Die kapitalistische Wertschöpfung beginntEin zentraler Mechanismus, um die neuen Commons in ihre Schranken zu weisen, war die Erfindung von Corporate Social Media. Es gelang den Konzernen, die Beziehungen der Menschen zu monetarisieren. Sie bauten einen goldenen Käfig für sie, der es ihnen einfach wie nie zuvor machte,...
Bewegungslinke, Anarchismus und (Anti-)Politik
Jonathan Eibisch argumentiert für ein bewusstes Einmischen organisierter Anarchist*innen in die Bewegungslinke. Die anarchistische Ideen der (Anti-)Politik soll so ein stärkeres Gewicht in der strategischen Debatte erhalten. Außerdem gibt er einen interessanten Überblick hinsichtlich anarchistischer Gedanken und Kritiken an der Bewegungslinken.
Mit dem folgenden Beitrag möchte ich eine kritische Debatte über unser Politikverständnis anregen, über das Verhältnis von Anarchismus und Bewegungslinke reflektieren und auf meine Tätigkeiten hinweisen. Politik aus anarchistischer Perspektive zu verstehen, kann dazu beitragen, die Diskussion über unsere Strategien und Praktiken zu erweitern. Dazu gilt es, sich die ambivalente Ablehnung von Politik und die Bezugnahme auf sie durch Anarchist*innen anzuschauen, welche sich anders gestaltet als bei linksradikalen Strömungen. Seit vielen Jahren verstehe mich selbst als Anarchist und habe an einigen Ereignissen teilgenommen, zu welchen auch die IL mobilisiert hatte. Darunter waren die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Dresden, COP15, Castor Schottern, Blockupy und den G20-Gipfel. Auch wenn sich der Schwerpunkt meiner Aktivitäten inzwischen verändert hat, bin ich weiterhin der Ansicht, dass grundlegender Wandel nur durch Druck auf der Straße, vielfältige direkte Aktionen und selbstorganisierte Basisarbeit gelingen kann.
Anarchist*innen und die BewegungslinkeIn bewegungslinken Gruppierungen und Netzwerken finden sich Personen zusammen, welche sich in den drei Hauptströmungen des Sozialismus verorten lassen: Sozialdemokratie, Parteikommunismus und Anarchismus. Statt vorrangig um ideologische Positionen zu ringen, wie in Gruppen, welche sich nach ihrer Gesinnung zusammenfinden, oder um Programme, Posten und die Wähler*innengunst in Parteien, steht in Gruppen der Bewegungslinken die gemeinsame Aktion im Vordergrund. Auch wenn Kontroversen keineswegs ausbleiben, schafft dies die Grundlage für die Zusammenarbeit von Personen, welche von unterschiedlichen Strömungen geprägt sind. Dies ist begrüßenswert, wenn die Einsicht darin besteht, dass umfassende Gesellschaftstransformation zwar nicht durch die anzuführenden Massen gelingen kann, wohl aber der unterschiedlichen Vielen bedarf, die sich verbünden.
Es gibt wenige Personen, die sich als Anarchistinnen verstehen und bei der IL organisiert sind. Häufiger aber kommt es vor, dass anarchistische Zusammenhänge sich an Aktionen der Bewegungslinken beteiligen und dennoch einen gewissen Abstand zu ihr wahren. Und dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: Erstens sind Anarchistinnen der Adressierung von Massen gegenüber skeptisch, weil diese oftmals eher lethargisch wirken, als dass sie Spontaneität entstehen lassen. Auch Aktionen, die auf eine große Zahl von Menschen setzen, können demnach nur so gut funktionieren und emanzipatorisch wirken, wie jene, die sich an ihr beteiligen in Bezugsgruppen organisiert sind und sich auch im Alltag organisieren. Zweitens kritisieren Anarchistinnen die Symbolpolitik, welche teilweise in Aktionen zivilen Ungehorsams bedient und gefördert wurden. Vor allem auf die mediale Wirksamkeit zu setzen, erzeugt noch keine Gegenmacht. Drittens wird eine Kritik an dem Ereignis des Massenprotestes geübt. Wenn dieser vor allem als spektakuläres Erleben schmackhaft gemacht wird, um Menschen dafür zu mobilisieren, kann er nicht nachhaltig und tiefgreifend sein. Ein vierter Punkt betrifft die teilweise intransparente Weise, wie Aktionskonsense zu Stande kommen und kommuniziert werden. Dies verweist auch auf Hierarchien im Hintergrund, wie sie freilich auch in anarchistischen Organisationen bestehen. Fünftens wird das „Bewegungs-Management“ als problematisch erachtet, in welchem professionelle Strateginnen sich beispielsweise anmaßen, bestimmte Ausdrucksformen vorab...
Kapitalkonformes Ich
Das neoliberale Akkumulationsregime des digitalen Kapitalismus hat einen neuen Subjekttypen erzeugt – das sorgt auch innerhalb der radikalen Linken für Probleme. Zehn Thesen.
Der Text ist die schriftliche Ausarbeitung eines Vortrags, der im Juli 2021 auf einer bewegungsnahen, internen „Tagung über die Krise der Interventionistischen Linken (IL) und der radikalen Linken“ gehalten wurde. Die Analyse resultiert aus Erfahrungen, wie Individuen im modernen Kapitalismus agieren, die auch in der Linken immer häufiger zu beobachten sind. Der Text erschien im März 2022 bereits in der Jungen Welt sowie in einer langen Variante in der Tagungsdokumentation mit dem Titel „Die IL läuft Gefahr, Geschichte geworden zu sein“. Eine Bestellungen dieser insgesamt 100-seitigen Broschüre ist über die Mailadresse tagung_punkt@riseup.net möglich.
Das neoliberale Subjekt für das neue Akkumulationsregime im Digitalen Kapitalismus
Wir sind der Meinung, dass es eine tiefgreifende Krise der Linken gibt, die wir in ihrem Ausmaß noch nicht erfasst haben. Corona hat wie ein Brennglas sichtbar gemacht, wie unsere Gesellschaft von den herrschenden Eliten gestaltet wurde. Die Linke hat sich zum großen Teil während der Pandemie weggeduckt, ohne gesellschaftliche Widersprüche aufzuzeigen. Stattdessen war und ist sie im Gefolge autoritärer Zurichtung der Menschen letztlich »artiger« und folgsamer geworden. Ein Desaster. Das hat, so unsere Beobachtung, auch etwas damit zu tun, wie das neoliberale Subjekt und insbesondere das linke Subjekt im Neoliberalismus »tickt«.
Wir gehen im Folgenden davon aus, dass jede kapitalistische »Etappe« ein spezifisches Subjekt braucht, um erfolgreich die ökonomische Organisation und Reproduktion zu gewährleisten, die im Kapitalismus Profit abwerfen muss. Wir vertreten im folgenden Beitrag die These, dass die Ablösung des Fordismus durch den Postfordismus bzw. Neoliberalismus seit den 1970er Jahren eben in dieser Weise einen Wandel der ausbeutbaren Subjekte verlangte. Eine andere Produktionsweise verlangt andere Subjekte. Unter dem Begriff der Postmoderne lassen sich die Merkmale seit den 1980er Jahren beschreiben, zeigen aber jetzt erst ihre volle Entfaltung.
Die Einziehung neoliberaler Subjektivierung passiert natürlich nicht einfach so als Naturgesetz. Seit dem Jahr 2000 machten Konzepte der SPD vom »Lebenslangen Lernen« die Runde. Dann kam der sogenannte Bolognaprozess, die EU-einheitliche »Bildungsreform«, die zum Ziel hatte, Schulen und Universitäten ganz nach den Bedürfnissen des aktuellen Kapitalismus auszurichten. Der Umbau des Universitätswesens ist abgeschlossen. Von der Universität ist, von Ausnahmen abgesehen, keine Gesellschaftskritik mehr zu erwarten. Die moderne Sachbearbeiterin der Zukunft hat ein Studium in Kommunikationswissenschaften komplett inhaltsleer absolviert und lebt im Bewusstsein, am Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein. Ihr Arbeitsplatz ist beliebig, ihre Qualifikation rein formal, sie muss kompetent und professionell sein, das reicht. Das Kompetenzmodell ist in allen europäischen Staaten vorherrschend.
Die Standardisierung im pädagogischen Bereich lässt sich seit den 1990er Jahren beobachten. Im Interesse angeblich größerer Transparenz, angeglichener Qualitätsstandards, die für mehr Vergleichbarkeit und damit mehr Gerechtigkeit sorgen sollten, wurde die »Professionalisierung« vorangetrieben. Wichtiges Instrument war und ist immer noch die sogenannte Steuerungsgruppe. Das Kind wird zum Objekt einer perfekten Bildung, deren Umfeld adäquat organisiert sein muss: Das Umfeld entscheidet über eine gute Entwicklung. Dass dies ein Einfallstor ist für kommerzielle Interessen, liegt auf der Hand. Krippe, Kindergarten, Hort werden entsprechend umbenannt in Familienzentrum,...
Debatte: Krise der radikalen Linken
Ob Corona, Klima oder der Krieg in der Ukraine: Die radikale Linke scheint von den Vielfachkrisen des Neoliberalismus überwältigt worden zu sein und steht mittlerweile weitgehend bewegungslos neben ihnen. Obwohl in einzelnen Teilbewegungen noch Aktivität zu vernehmen ist, und Klimastreiks Millionen Menschen auf die Straße bringen, steht es schlecht um die radikale Linke in der BRD.
Nach anfänglichem Streit um Waffenlieferungen wird zum Krieg geschwiegen. Die größte Krise der letzten Jahre, die Corona-Pandemie, hat sich weder in Protest noch in kollektiver Organisierung, sondern in Vereinzelung und Resignation. Und auch die Bewegungen gegen rassistische Polizeigewalt oder die Klimabewegung scheinen in relevanten Teilen zum Erliegen zu kommen. Aber der Pandemie alleine die Schuld an der Krise der Linken zu geben, scheint nicht ausreichend. Daher müssen wir uns fragen: Welche Ursachen hat die aktuelle Krise der radikalen, und auch gesellschaftlichen, Linken? Was drückt sie genau aus? Und: wie kann eine Strategie aussehen und da eigentlich rauszukommen - Wie sieht unsere Perspektive aus? oder polemisch gesagt: Sind Volksentscheide der revolutionäre Weg zur Vergesellschaftung von Wohnraum oder parlamentarisches Theater? Fehlt es der radikalen Linken an militanter Subjektivität oder an gesellschaftlicher Verankerung?
Um diesen und vielen weiteren Fragen nachzugehen, suchen wir als Debattenblog wieder spannende Texte. Der genauen Themenwahl sind euch dabei quasi keine Grenzen gesetzt – ob die Verknüpfung zu ökonomischen Umbauprozessen, zu Organisierungstendenzen oder den ideologischen Einfluss des Neoliberalismus – dies sind nur wenige Ideen, die wir uns vorstellen können.
Wir rufen Euch als Einzelpersonen und Gruppen – aus der IL und aus dem Kreise unserer Freund*innen und Kritiker*innen – auf, Euch an der Debatte zu beteiligen und uns Eure Artikel-Vorschläge zu schicken. Ihr erreicht uns unter blog@interventionistische-linke.org. Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion!
#unteilbar ist Geschichte, #Unteilbarkeit bleibt!?
Am 14. Oktober 2022 hat sich das #unteilbar Bündnis mit einer internen Abendveranstaltung aufgelöst – fast auf den Tag genau vier Jahre nachdem es am 13. Oktober 2018 in Berlin völlig überraschend 242.000 Menschen für eine offene und freie Gesellschaft auf die Straße gebracht hat. Zwei Aktivist*innen der iL, die das Bündnis mitgestaltet haben, ziehen Bilanz.
2018: Der Pol der Solidarität findet einen Ausdruck
2018 war die Bewegungssituation zunächst durch eine Defensive der gesellschaftlichen Linken geprägt, die auf den Sommer der Migration 2015 gefolgt ist. Eine migrationsfeindliche Flächenmobilisierung und Welle rassistischer Gewalt war zum Schrittmacher der politischen Entwicklung geworden. Es gab zwar mit der Selbstorganisierung von Geflüchteten und den Willkommensinitiativen auch Organisierung und Solidarität von Unten, diesen fehlte aber bislang ein starker politischer Ausdruck. In der Folge waren antirassistische Bewegungen und die gesellschaftliche Linke kaum mehr als Zaungäste, während ein Asylpaket das nächste jagte.
Das änderte sich 2018: Am 29. September 2018 nahmen 25.00 Menschen an der We’ll come United Parade in Hamburg teil; im Rahmen der Seebrücke gründeten sich im Sommer in zahlreichen, auch kleineren Städten neue Initiativen; in NRW und Bayern gab es starke Proteste gegen neue repressive Polizeigesetze; bei #ausgehetzt demonstrierten in München am 22. Juli 50.000 Menschen gegen die rhetorische Brandstiftung der CSU; am 06 Oktober verwandelten 50.000 Menschen den Hambacher Forst in das Wendland der Anti-Kohle-Bewegung; bereits im April waren 25.000 in Berlin gegen den Mietenwahnsinn auf die Straße gegangen. Es war also viel los auf den Straßen.
Ein Fanal für die #unteilbar-Mobilisierung war die Hetzjagd von Chemnitz im August 2018. Der offene Schulterschluss der AfD mit der faschistischen Rechten und die Leugnung der rassistischen Gewalt durch den damaligen VS-Präsidenten Hans-Georg Maaßen wurden für viele zu einem Symbol, dass die gesamte Gesellschaft nach rechts zu kippen drohte. Nur aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren erklärt sich, dass mehr oder weniger zufällig die vom RAV (Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein) initiierte #unteilbar-Mobilisierung im Herbst 2018 den Nagel auf den Kopf traf. Sie verlieh sowohl dem bisher viel zu selten artikulierten Pol der Solidarität, als auch der verbreiteten Angst vor dem rechten Durchmarsch einen Ausdruck. Zentraler Claim des Bündnisses war es, Migration und die soziale Frage nicht gegeneinander ausspielen zu lassen.
unteilbar war damit der unausgesprochene Gegenentwurf zum sozialkonservativen Aufstehen-Projekt, das Sahra Wagenknecht & Co im August 2018 lanciert hatten. Das Scheitern von #Aufstehen steht prominent und exemplarisch für den mäßigen Erfolg des Versuchs verschiedener politischer Akteure, eine neue migrationsfeindliche Spaltungslinie zu ziehen. All jenen, die sich gegen diese Spaltungslinie stemmten, entschieden den Rücken gestärkt zu haben, ist wohl der größte Erfolg des #unteilbar-Bündnisses. Entgegen dieser Spaltungen hat #unteilbar eine neue Sprache und Praxis für die Verbindung von Kämpfen gefunden.2019ff: Netzwerk des solidarischen Ostens
unteilbar konnte Mobilisierungserfolge immer in Augenblicken der Gefahr erzielen, in denen ein Mosaik von der radikalen Linken bis zum r2g-Sprektrum im Angesicht einer drohenden Machtoption der AfD oder rechtsterroristischen Anschlägen zusammenstand. Ermöglicht wurde dieses Zusammenkommen durch ein politisches Profil, das bewusst im Ungefähren blieb und stärker auf einen Modus von Gesellschaft als auf konkrete...